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"Jetzt geht´s los, jetzt geht´s los!"
Saisonstart in der Frauenbundesliga
 

Mit Fangesängen wie in der Überschrift muss/darf man vielleicht in Zukunft rechnen, wenn man den Funktionären und Visionären aus Friedberg glauben darf. "Warum sollen wir nicht mal mit einem Fan-Bus voller Anhänger kommen, Auswärtsspiel in Hamburg, Freitag Abend "König der Löwen", dann Samstag Wettkampf, danach Meet & Greet mit den Spitzenspielerinnen, Sonntag noch mal Wettkampf und dann alle gemeinsam wieder zurück." So ungefähr müsste ein Bundesligawochenende aussehen und in der Tat hat die Vorstellung einen gewissen Charme. Für eines der Hamburger Wochenenden wurde zumindest schon eine Ausgabe des legendären "Kiezblitz" bestellt, wir arbeiten daran …
Doch bevor die Fans zu hunderten in die Spielsäle stürmen, müssen wir wohl mit kleineren Mengen vor Ort und vielleicht umso mehr an den Bildschirmen rechnen. Die Live-Übertragungen sind im Gegensatz zu den Herren (oder, wie es politisch korrekt wohl heißt, zur "offenen Klasse") noch nicht Pflicht, aber in Baden Baden gehören sie immer mit dazu (Ende der letzten Saison zerstörte ein Brand die Technik, nur deswegen musste darauf verzichtet werden).
Web-Cams mit direkter Live-Schaltung wären mit Sicherheit eine tolle Steigerung, könnte man doch die Dramatik dann pur erleben, aber es erhöht natürlich auch den technischen Aufwand enorm.

Nun zum Schachlichen: Serienmeister Baden Baden hat einen neuen Reisepartner. Die Schachfreunde Karlsruhe sind leider abgestiegen, und so rutschen die Schachfreunde Deizisau, vor einem Jahr aufgestiegen, in ihrer zweiten Saison an die Badener Seite, was insofern praktisch ist, als Funktionär Sven Noppes nun nicht mehr hin und her gerissen ist, zwischen seinem Heimat- und Stamm-Verein und seinen Badener Ladies, für die er ebenfalls verantwortlich zeichnet. Die Zukunft wird zeigen, ob Deizisau eine Art "Sichtungs-Team" für den Titelverteidiger wird, wenn zum Beispiel in den kommenden Spielzeiten Spielerinnen hin und her wechseln. Allerdings kann/will Noppes sich seinen Teams immer noch nicht mit voller Konzentration widmen, der gerade mal 18 Tage alte Nachwuchs durfte zum ersten Mal Schachluft schnuppern und war natürlich sofort umringt von Spielerinnen aus allen vier anwesenden Mannschaften. Herzlichen Glückwunsch, lieber Sven, zum Familienglück im Namen der gesamten Liga (die Freiheit nehme ich mir mal)!

Zum ersten Wochenende der Spielzeit 2013/14 besuchten die Nordlichter vom Aufsteiger SK Lehrte (Niedersachsen) und aus Hamburg die Kurstadt, um sich mit den Gastgeberinnen sowie eben jenen Damen aus Deizisau zu duellieren. Um es vorweg zu nehmen, es gab nichts zu holen für den Norden und auch wenn unser 2½:3½ gegen die Schachfreunde Deizisau knapp aussah, so durften wir doch nur sehr sporadisch auf einen Mannschaftspunkt hoffen. Kleine personelle Engpässe machten uns im Vorfeld zu schaffen, Monika Socko und Marta Michna bekamen die Gelegenheit ein sehr starkes WGM-Turnier in Polen zu spielen (und hatten dort leider beide keine gute Form), und der Hamburger Ferienplan kostete uns weitere Spielerinnen. Auch Judith Fuchs fühlte sich nach prüfungsbedingter halbjähriger Schachpause keineswegs in Form, biss allerdings in den sauren Apfel und sorgte zumindest dafür, dass wir zu sechst spielen konnten.

Schachfreunde Deizisau 3 ½ : 2 ½ HSK
1. Zoya Schleining (2377) ½ Sarah Hoolt (2337)
2. Hanna-Marie Klek (2275) ½ Judith Fuchs (2334)
3. Vesna Misanovic (2335) 0-1 Veronika Schneider (2266)
4. Marina Manakov (2270) 1-0 Jade Schmidt (2137)
5. Ingrid Lauterbach (2123) 1-0 Bettina Blübaum (2030)
6. Jana Rempel (2070) ½ Victoria Naipal (1817)

Unser Match der ersten Runde war denn auch die knappste der vier Begegnungen: Nach der ersten Stunde war der Zuschauer noch optimistisch, hatte Sarah doch einen ganzen Haufen Figuren zum schwarzen König gebracht, und auch Veronika schien auf einem sehr guten Weg zu sein, ihren Weiß-Vorteil in einen gefährlichen Angriff zu verwandeln. Bettina Blübaum, die in der letzten Saison ein Super-Ergebnis geholt hat, stand gegen die ehemalige Hamburgerin Ingrid Lauterbach ebenfalls sehr ordentlich. Dafür zeichneten sich bald Probleme an den Brettern 4 und 6 ab und als Judith in der ersten Zeitnotphase anfing, mit Dc5-c7-c6-c5 planlos zu agieren, war klar, dass es verdammt eng werden würde. In der Zwischenzeit hatte sich auch Sarahs Angriff als Bumerang herausgestellt, und so deutete sogar einiges auf eine ziemlich heftige Klatsche hin.

Doch nach der ersten Zeitkontrolle kamen die Hanseatinnen wieder besser ins Spiel. Veronika gewann ihre Partie sehr souverän: "Ich musste gar nicht viel machen, sie hat anscheinend meinen Angriff einfach unterschätzt und ihrer war viel zu langsam!" war ihr nüchternes Fazit bei der abendlichen Analyse.

Schneider,Veronika - Misanovic,Vesna [C46]
FBL: SF Deizisau - Hamburger SK (1.3), 05.10.2013
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 d6 4.h3 g6 5.d4 exd4 6.Sxd4 Lg7 7.Le3 Sge7 8.Dd2 0-0 9.0-0-0 Tb8 (Dieser Angriffsplan scheint schlicht zu langsam zu sein. Veronika ist für ihr Angriffsschach bekannt und lässt sich nicht zweimal bitten. 10.g4 Ld7 11.f4 b5 12.Sd5 b4 13.Sxc6 Sxc6 14.g5 Le6 15.h4 Se7 16.Sf6+ Lxf6 17.gxf6 Sc6 18.e5 h5??

Diagramm 01

19.Dg2! Lg4 Darauf hatte Schwarz sich vermutlich verlassen, aber unsere ungarische Großmeisterin verschafft sich locker Zugang zum schwarzen König… 20.Le2 Lxe2 21.Dg5 und das Matt ist nicht mehr zu verhindern.

Jade hatte gegen Marina Kamanov in der Eröffnung einen Bauern gegeben, sah diesen allerdings nie mehr wieder und musste somit den Ausgleich hinnehmen. Allerdings konnten sich Sarah und Victoria an den Brettern 1 und 6 auf wundersame Weise retten. Zoja Schleining gab sich nicht mit einem Bauern zufrieden, schnappte einen zweiten und war plötzlich einigem Gegenspiel ausgesetzt. Hinzu kam eine Art "außerschachliches" Missgeschick. Die Partieformulare enthielten eine Markierung (dickeren Strich), allerdings nicht beim 40. Zug, sondern bereits nach 30 Zügen. Vermutlich wird in anderen Ligen der Region mit anderen Zeitkontrollen gespielt. Zoja hatte sich offensichtlich an der Markierung orientiert und riss mit 2 Minuten auf der Uhr plötzlich ungläubig die Augen auf, als sie den Fehler bemerkte. Sarah nutzte die Situation zu einem schnellen Remisangebot, dass von der immer noch unter Schock stehenden deutschen Nationalspielerin auch dankbar

 
FBL-Team

Unsere Debütantin Victoria Naipal, die seit einem knappen Jahr in Hamburg promoviert, hatte in der Eröffnung die Züge vertauscht und stand somit schon sehr früh unter Druck. Doch Jana Rempel fand nach einem Bauerngewinn einfach nicht den entscheidenden letzten Schlag und musste weiteren Abtausch zulassen, sodass schließlich ungleichfarbi- ge Läufer auf dem Brett standen, die den Mehrbauern nicht mehr siegbringend verwerten ließen, ebenfalls Remis.

 

2:2, aber zwei sehr schlechte bis klar verlorene Stellungen an den Brettern 2 und 5. Judith Fuchs hatte gegen die deutsche Frauenmeisterin Hannah Marie Klek zwischenzeitlich zwei Bauern weniger, allerdings gelang ihr der Übergang ins Turmendspiel und dieses spielte sie schlicht und einfach deutlich besser als ihre Gegnerin. "Judith macht das schon!" glaubte Freundin Sarah schon relativ früh an die Rettungschancen. Und in der Tat konnte unsere frisch gebackene Zahnärztin am Ende den halben Punkt retten.
Nicht so viel Glück hatte Bettina, die eigentlich eine sorgenfreie Stellung hatte, dann aber in Zeitnot einen Bauern geben musste und am Ende den schwarzen Freibauern den Sieg überlassen musste. Der deutsche Meister GM Klaus Bischoff (Edelfan und Lebensgefährte von WIM Ingrid Lauterbach) verfolgte mit uns interessiert diese letzte Partie. Auf die Frage von Sarah, ob Ingrid mit Springer und Läufer mattsetzen könne, meinte Deutschlands bester Partiekommentator nur: "Das kann ich ja kaum! Ich habe immer gehofft, dass das der Vorteil ist, wenn man GM ist, dass man das nie mehr zeigen muss. Aber vermutlich irre ich mich. Ich würde dieses Endspiel gegen Elo 2100 ziemlich sicher aufgeben, aber umgekehrt würde es wohl jeder gegen mich weiterspielen, oder?"
Ingrid umging die spannende Frage, in dem sie einfach ausreichend Bauern auf dem Brett ließ, sodass sie sich am Ende als Match-Winner feiern lassen konnte.
Ein 2½:3½ ist immer unglücklich, aber wirklich verdient wäre ein Unentschieden auch nicht gewesen, wenn man ganz ehrlich ist. Die Hamburger Damen entführten den Mannschaftsführer in ein feines kleines Italienisches Restaurant, das sogar über Schachbretter verfügte und uns in gemütlicher Runde die Chance gab, die Niederlage zu verarbeiten. Am nächsten Morgen wartete schließlich niemand anderes als der Titelverteidiger auf uns …

Das Team
Die Hamburger Damen - kurz vor (oder nach) der Entführung ihres Teamchefs …
HSK 1 ½ - 4 ½ OSG Baden Baden
1. Sarah Hoolt (2337) 0-1 Anna Zatonskih (2475)
2. Judith Fuchs (2334) ½ Ketino Kachiani Gersinska (2334)
3. Veronika Schneider (2266) ½ Eva Moser (2415)
4. Jade Schmidt (2137) 0-1 Elina Sedina (2282)
5. Bettina Blübaum (2030) 0-1 Iamze Tammert (2224)
6. Victoria Naipal (1817) ½ Julia Bochis (2212)

Am Sonntag geht es in der Frauenbundesliga bereits um 9.00 Uhr an die Bretter. So früh müssen noch nicht mal die Profiteams bei den Herren ran, aber ich erinnere mich an einen Vorschlag aus Karlsruhe vor einigen Jahren, ob man nicht um 8 Uhr starten könnte, damit man rechtzeitig wieder zu Hause sei …
Sei es drum, trotz abendlichem Klitschko-Kampf und Casino-Besuch (der diesmal zumindest leicht im Plus endete und damit deutlich erfolgreicher als im letzten Jahr!) fanden sich alle sechs Hamburger Damen rechtzeitig zum Frühstück und wenig später auch an den Brettern.
Auf dem Aufstellungszettel fanden sich keinerlei Überraschungen, kein Team wechselte und so passten auch alle Vorbereitungen perfekt. Gegen den deutschen Meister der letzten Jahre ist die Favoritenrolle immer klar verteilt und so auch diesmal, obwohl die OSG Baden Baden an diesem Wochenende die meisten ihrer Stars zuhause ließ. So erhielt zum Beispiel das Talent Julia Bochis (auch immer noch mit einer Elozahl von über 2200 ausgestattet) die Chance, nach einem Jahr Pause wieder in der ersten Mannschaft zu spielen: Schon 2011/12 hatte sie mit 3½ aus 4 ihre FBL-Tauglichkeit nachgewiesen.

Am Spitzenbrett traf Sarah Hoolt mit Schwarz auf die amerikanische Nummer 1 Anna Zatonskih. In einem Nimzoinder schien Sarah früh alle Probleme gelöst zu haben und ich deutete als Mannschaftsführer ein kurzes Räuspern der Amerikanerin bereits als Remis-angebot. Umso beeindruckter war ich (und lobte die Einstellung auch gleich auf unserer Homepage), als Sarah ohne Rücksprache anscheinend abgelehnt hatte und weiterspielen wollte! Erst nach der Partie löste Sarah auf, dass es das vermeintliche Friedensangebot schlicht nie gegeben habe…
"Judith spielte sehr schnell und ich dachte es wäre alles vorbereitet, aber es scheint eher ein Bluff gewesen zu sein, oder?" fragte Veronika nach ihrer Partie zum Eröffnungsverlauf an Brett 2. In der Tat hatte Judith gegen die langjährige deutsche Nummer 1 Ketino Kachiani Gersinska knapp 20 Züge praktisch à Tempo aufs Brett geknallt, fand sich allerdings bald in einer sehr unklaren bis anrüchig aussehenden Stellung wieder. So ganz klar wäre die Lage allerdings vermutlich nur, wenn man die Partien mit dem Rechner checkte, in der praktischen Partie und als Zuschauer war es eher sehr unklar bis chaotisch. Kurz vor der Zeitkontrolle hatte Judith ausreichendes Gegenspiel kreiert, und Schwarz musste ein Dauerschach zulassen, um nicht noch in Verlustgefahr zu geraten.
Bereits im letzten Jahr gab es die Partie Moser - Schneider, damals verlor Veronika eine der ganz wenigen Partien ihrer HSK-Einsätze und war deswegen natürlich auf Revanche aus. Dass Eva Moser als die stärkste Spielerin in der Geschichte Österreichs nach Möglichkeit jede eröffnungstheoretische Diskussion vermeidet, ist bekannt, und so überraschte eine Anfangsphase, bei der Bent Larsen seine Freude gehabt hätte, nicht wirklich. Aber Veronika zeigte sich gut eingestellt, beließ ihren König einfach in der Mitte und griff zügig mit h7-h5 an. Hier schien jedes Ergebnis möglich zu sein.
Jade Schmidt erwischte sicherlich nicht ihr bestes FBL-Wochenende, gegen Elina Sedina aus Italien versuchte sie schnell im Zentrum die Oberhand zu gewinnen, übersah allerdings einen taktischen Trick und musste bald einigem Nachteil hinterher laufen.
Am vorletzten Brett hatte es Bettina Blübaum mit Iamze Tammert zu tun, die schon seit längerem so gut wie kein Turnier mehr spielt, aber jedes Jahr mit einem unglaublichen Score in der FBL eine der wichtigen Stützen des deutschen Meisters ist. Die Bilanz gegen Hamburg ist erschreckend für uns, und auch in dieser Partie zeichnete sich bald ein Spiel auf ein Tor ab.
Am hoffnungsvollsten entwickelte sich Victoria Naipals Partie gegen die bereits erwähnte Julia Bochis, die gemeinsam mit Jade vor Jahres Frist als deutsche Nationalmannschaft sensationell den Mitropa-Cup gewinnen konnte. Aber Victoria zeigte keinerlei Angst, spielte sehr solide und kraftvoll, so dass Julia sich schon bald genötigt sah, viel Zeit zu investieren, um irgendwelche Gewinnchancen zu schaffen. Wenn die Samstagspartie einigermaßen glücklich für Victoria ausging, dann glich sich die Glücksbilanz mit dieser Partie wieder aus, denn das Remis am Ende war mit Sicherheit das beste Ergebnis, das Bochis die Partie über auf dem Brett hatte. Zwei Remisen gegen zwei bärenstarke Gegnerinnen, Victoria ist in der Liga angekommen, im Team sowieso!

Remisen an 2 und 6, dazu zwei relativ klare Niederlagen bei Jade und Bettina (auch wenn zumindest bei letzterer genau zur Zeitkontrolle noch einmal kurz Hoffnung aufkam). Und damit ein 1-3 Rückstand, der einfach zeigt, dass wir Baden Baden nicht das Wasser reichen können. Veronika versuchte weiterhin ihre Gewinnchancen am Leben zu erhalten und in der Tat sah das lange Zeit sehr gut aus, aber am Ende reichte es selbst in dieser Partie nur zu einem Remis. Und Sarah musste in einer sehr stark geführten Partie die Überlegenheit Ihrer Gegnerin anerkennen. 1½:4½ klingt deutlich und das war es auch. Wir hätten gerne zumindest, wie im letzten Jahr, eine Partie gewonnen und die Chancen waren an 3 und 6 durchaus vorhanden, aber letztendlich gibt es gegen dieses Weltklasseteam nur an ganz besonderen Tagen etwas zu holen.

Analyse
Analyse: Je kleiner das Brett, desto größer das Bierglas, aber Trost musste sein (ChZ)

Nun sind wir mit 0:4 Mannschaftspunkten gestartet (wie auch unsere Reisepartner aus Lehrte), befinden uns erst einmal am Ende der Tabelle, aber eines der stärksten Team-Pärchen der Liga liegt bereits hinter uns. Es wird nicht viele Mannschaften geben, die viel mehr holen als wir. Die Stimmung im Team und der Zusammenhalt sind unverändert großartig, das Geburtstagsständchen für den Mannschaftsführer am Samstagmorgen hat ihn sehr gerührt, es macht einfach Spaß mit diesen Damen!
Das nächste Wochenende am 30. November und 1. Dezember in Lehrte gegen das zweite Hammer-Paar, die Schachfreunde Friedberg und der SC Bad Königshofen, der Baden-Baden als Meister ablösen will, sind dort zu Gast. Wir werden versuchen unser Ergebnis zu verbessern, aber das wird alles andere als leicht. Danach kommen dann die Matches, die man in dieser Liga gewinnen muss.

 
Eine kleine Bilder-Show
Andreas Albers



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