Das schrieb mir
sinngemäß einer meiner Schüler am Sonntagabend per SMS. Die
ganze Woche war ich sehr nervös, denn die 8./9. Runde in Rostock gegen USV
TU Dresden und die Schachfreunde Berlin würde ein wichtiger Schritt im
Abstiegskampf sein. So bat ich alle, die es hören oder eben auch nicht
hören wollten, um zumindest mentale Unterstützung. Dass es mit Nils
Altenburg und Andi Albers Fans sogar im 200 Kilometer entfernten Rostock auf
die Zuschauerränge schafften, motivierte da umso mehr.
Dabei hätte das Wochenende vorbei sein können, bevor es richtig
angefangen hatte... Aber eins nach dem anderen.
Am Freitag reisten bereits fünf unserer acht Spieler nach Rostock an.
Janek Duda kam mit seinem Coach Kamil Milton aus Polen. Zehn Stunden Fahrt,
dank eines Umweges über Dresden, steckten den beiden am Abend sichtlich in
den Knochen, trotzdem trafen wir uns mit Robert Kempinski und Sune Berg Hansen,
der mit dem Bus aus Dänemark angereist war, im Hotelrestaurant, um uns auf
den kommenden Tag einzuschwören. Sehr zeitig ging es auf die Zimmer um das
richtige Verhältnis zwischen Vorbereitung und Schlaf herzustellen. Beim
gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen trafen wir dann auch
Ehsan Ghaem Maghami, der relativ spät am Freitagabend im Hotel angekommen
war.
Um 12.30 Uhr traf aus Hamburg der Rest der Truppe ein, unser Captain Reinhard
Ahrens zusammen mit seiner Frau Silke, sowie Jonas Lampert, Sipke Ernst und
unsere Nummer 1 Robin van Kampen. Für 13.30 Uhr war der Abflug vom Hotel
geplant. Reinhard hatte bereits die Mannschaftsaufstellung abgegeben, aber auf
dem Weg zu dem 15 Autominuten entfernten Spielort im Gemeindezentrum des
kleinen Ortes Elmenhorst-Lichtenhagen, wo die Rostocker erstmals
Schach-Bundesliga in Mecklenburg-Vorpommern ausrichteten, sollte kein Stress
aufkommen. Um 13.30 Uhr waren dann alle da. Alle? Nein, Janek fehlte und so
fuhren die anderen schon mal zum Spielort, während ich den Nachzügler
mitnehmen sollte. Um ebenfalls pünktlich zu sein, rief ich Janek, der in
einem Doppelzimmer mit Kamil nächtigte, auf dem Zimmer an. Als keiner
abnahm, wurde ich langsam aber sicher nervös. Um 14.00 Uhr, eigentlich
Rundenbeginn, war immer noch keine Spur von Janek. Zum Glück hatten wir
Fortuna und unseren Helden des Tages Andi Albers am Start. Ein Malheur unserer
Gegner bescherte uns einen Rundenstart um 14.15 Uhr. Da ein Auto der Dresdner
auf der Autobahn mit Getriebeschaden liegengeblieben war, machte der
Schiedsrichter nach Rücksprache mit Jürgen Kohlstädt, dem
Spielleiter der Bundesliga, unter Zustimmung aller vier Mannschaftsführer
von seinem Ermessensspielraum Gebrauch und setzte den Rundenbeginn auf 14.15
Uhr fest. Andi Albers hatte mich als Abholer von Janek beim Hotel
abgelöst, sodass ich um 14.23 Uhr am Brett saß, während
über Reinhard die Nachricht kam, dass auch Janek gefunden wurde und mit
Andi auf dem Weg zum Spielort sei. Kamil, Janeks Trainer, hatte anscheinend
gedacht, die Runde fange um 15 Uhr an, und Robert hatte den beiden nur gesagt,
dass wir uns 30 Minuten vor Rundenbeginn treffen. Na ja, nachdem das Navi Andi
mehrfach warnte, er solle die Geschwindigkeitsbegrenzung einhalten, saß
um 14.33 Uhr auch Janek am Brett.
Janek Duda, zuerst Sorgenkind dann Top-Scorer
Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, war es
an der Zeit mal die Aufstellung unserer Gegner aus Dresden zu begutachten. An 1
spielte Weltklassemann Pavel Eljanov aus der Ukraine, Almasi aus Ungarn war, zu
unserem Glück nicht am Start, dafür aber die starken polnischen GM
Gajewski und Socko. Für Dresden ungewöhnlich begannen ab Brett 4
bereits die deutschen Fahnen zu wehen, mit GM Maiwald, GM Tischbierek, FM
Seifert, IM Hofmann und FM Neef. Alles in allem waren wir also leicht
favorisiert, aber das hatte uns bisher gegen Schwäbisch Hall, die
Sportfreunde Katernberg und den SC Hansa Dortmund auch nicht geholfen, sodass
volle Konzentration angesagt war.
Robin hatte mit den schwarzen Steinen eine gute Stellung gegen Eljanov
erreicht, an einer Stelle fand er jedoch nicht den einzigen Zug und gab Eljanov
somit eine Chance, die dieser nicht ungenutzt ließ. 0:1. Dafür
konnten Ehsan und Robert ihre Partien gewinnen, während Janek einem
ungefährdeten Remis gegen Gajewski entgegen steuerte. 2½:1½.
Unser bisheriger Punktegarant Sipke spielte gegen Raj Tischbierek von Beginn an
eine verrückte Partie (O-Ton des Schachschulleiters Albers: "Ich
würde jedem meiner Kinder verbieten, so zu spielen."), wobei er am
Ende leider das Nachsehen hatte 2½:2½. Bei diesem ausgeglichenen
Spielstand liefen nach der Zeitkontrolle noch die letzten 3 Bretter. Laut
Engine waren wohl alle Endspiele ausgeglichen, jedoch waren es Sune, Jonas und
ich, die pressten (nachdem ich wie auch Jonas im Mittelspiel eine
gewinnbringende Kombination übersehen hatte). Sune hatte nach unserem
Eindruck immer die bessere Stellung, musste aber einen bis auf die 3.Reihe
vorgerückten Freibauern im Zaume halten. Jonas und ich versuchten alles,
mussten aber in ausgeglichenen Turmendspielen ins Remis einwilligen, wobei mein
Gegner und ich noch bis zu den nackten Königen spielten. Sune jedoch
konnte die entscheidende Partie gewinnen, indem er seinem Gegner einen
vergifteten Bauer anbot, um dessen Turm "einsperren" zu können.
Am Ende hieß es also wie in den beiden vorherigen Kämpfen gegen
Katernberg und Dortmund 4½:3½., diesmal allerdings für uns.
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Noch ist nichts von einem schwarzen Turm auf h4 zu sehen, der kommt noch!
1.d4 e6 2.Sf3 Sf6 3.c4 b6 4.Lf4 Lb7 5.e3 Lb4+
6.Sfd2 0-0 7.a3 Le7 8.Sc3 d5 9.Le2 c5 10.dxc5 bxc5 11.Lf3 Db6 12.0-0 Lc6
13.cxd5 exd5 14.Dc2 Sbd7 15.Tfe1 Tae8 16.e4 d4 17.Sc4 Da6 18.Sb1 Sb6 19.Sbd2
Td8 20.e5 d3 21.Dc1 Sfd5 22.Lg3 Lg5 23.Sd6 c4 24.h4 Lxd2 25.Dxd2 Se7 26.Le4 Sa4
27.Lxc6 Sxc6 28.Te4 Sc5 29.Tg4 g6 30.Dh6 Txd6 31.exd6 Sb3 32.Td1 Sbd4 33.d7 Da4
34.Txd4 Dxd1+ 35.Kh2 Dh5 36.Dxh5 gxh5 37.Td6 Sd8 38.Le5 f5 39.Td5 Kf7 40.Lc3
Ke6 41.Td4 Tf7 42.Txc4 Txd7 43.Ld2 Sf7 44.f3 Se5 45.Tc8 Kd5 46.Tc3 Kd4 47.b3 f4
48.Tc8 Sg6 49.Tc4+ Kd5 50.Kg1 Te7 51.Lc3 Te3 52.Td4+ Kc6 53.Ld2 Te2 54.Txd3
Sxh4 55.Kf1
Die
Stellung ist ohnehin schon eine ganze Zeit lang besser für Sune, aber der
folgende Zug erlaubt ein schönes Finale. 55...Txg2 56.Le1
Der Springer darf nicht ziehen, da sonst der Turm hängen würde, also
ist 56...Th2 erzwungen. 57.Lxh4 Txh4 58.Kg2!!
Die
Idee der ganzen weißen Aktion, zwar hat Schwarz formal einen Bauer mehr,
dafür ist aber der Turm auf h4 gefangen. Dank des weißen Bauern auf
f3, des weißen Königs auf g2, aber vor allem dank der schwarzen
Bauern auf f4 und h5, die dem Turm das Ziehen unmöglich machen. Der Rest
ist für Sune nur eine Frage der Technik.
58...a6 59.Td8 Kb6 60.Tb8+ Ka7 61.Th8 Kb6 62.Txh7 Kc6 63.Te7 Kb6
64.Te6+ Kb7 65.a4 a5 66.Te5 Kb6 67.Tf5 Ka6 68.Tb5 Ka7 69.Txa5+ Kb6 70.b4 Kb7
71.Tf5 1-0
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Im Hotel angekommen begegnete mir ein freudiger Robin:
"Good job, guys." Auch Lubomir Ftacnik meldete sich aus der
slowakischen Heimat mit einem "Fantastische Leistung, die Begeisterung ist
groß. Weiter so." Das abendliche Essen im Hotelrestaurant war
entsprechend ausgelassen und das lag nicht daran, dass in der hoteleigenen
Disko anscheinend der Themenabend "Schlechteste Disko-Klassiker der
vergangenen 2000 Jahre" lief. Aber auch hier waren wir natürlich ganz
Profi und gingen alle zeitig ins Bett bzw. zur Vorbereitung, um am
nächsten Tag gegen unseren direkten Konkurrenten im Abstiegskampf bestehen
zu können. Am Sonntag begann die Runde um 10.00 Uhr und diesmal waren wir
auch pünktlich am Spielort. Entgegen unserer Vermutung wechselten die
Berliner nicht ihre Aufstellung und traten uns von 1 bis 8 somit wie folgt
entgegen: GM Melkumyan, GM Mista, GM Piorun, GM Michalik, IM Lauber, IM Moreno,
IM Abel und IM Thiede. Es war also ein ausgeglichenes Match zu erwarten.
Das "Line-up" der ersten 6 Bretter gegen die Schachfreunde Berlin
Meine
Wahrnehmung ist natürlich sehr subjektiv, aber aus meiner Sicht war mein
Brett das einzige, an dem wir ernsthafte Probleme hatten. Auch wenn die Fans
der Engine, die auf der Schachbundesliga-Seite läuft, nicht trauen
sollten, war meine Stellung deutlich schlechter. Nachdem ich in einer
Philidor-Struktur bei frühzeitigem Damentausch mit Schwarz einige einfache
taktische Dinge übersehen hatte, fand ich mich in einer schlechten
Stellung mit Qualität mehr für zwei Bauern wieder. Durch einen
taktischen Trick konnte ich die Partie jedoch, nach einer Ungenauigkeit meines
Gegners, gewinnen:
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1.g3 Sf6 2.Lg2 c6 3.e4 e5 4.d4 d6 5.dxe5 dxe5
6.Dxd8+ Kxd8 7.Lg5 Ld6 8.Sd2 Sbd7 9.0-0-0 Ke7 10.Sc4 Lc7 11.Sf3 b5 12.Se3 h6
13.Sf5+ Kf8 14.Lxf6 Sxf6 15.Sd6 Lg4 16.Sxe5 Lxd1 17.Txd1 Lxd6 18.Txd6 Ke7
19.Txc6 Thc8 20.Ta6 Tc7 21.Sc6+ Kf8 22.e5 Sd7 23.f4?!
Vor
allem mein Gegner begann hier bereits in Richtung Zeitnot zu schlittern.
23...Sc5 24.Ta3 Tac8 25.Sb4 Auf diesen Zug hatte ich gehofft,
da ich die daraus resultierenden Komplikationen als vorteilhaft für mich
einschätzte.
(25.Sxa7 ist ebenfalls spielbar, hierauf hatte ich Folgendes geplant. 25...b4
26.Sxc8 bxa3 27.Sd6 Sd3+ 28.Kb1 Sxb2 29.Sb5 Tc8 30.Sxa3 Sa4 laut Engine ist die
Stellung ausgeglichen, in der Partie dachte ich jedoch, dass ich besser
stünde.) 25...a5! 26.Txa5
26...Sd3+! 27.Sxd3 Txc2+ 28.Kb1 Txg2
Nachdem meine Türme bisher eher ein klägliches Dasein gefristet
haben, wirbeln sie nun in der weißen Stellung.
29.a3 Tb8?! nun ist die Stellung wieder ausgeglichen.
29...Txh2 30.Txb5 Tg2 anscheinend hätte ich einfach auf Bauernjagd gehen
können, das sah mir jedoch zu gefährlich aus. 30.Sc5 Ke8
31.e6?! inzwischen lebt mein Gegner fast nur noch vom Zeitzuschlag.
31...fxe6 32.Sxe6 b4
jetzt
bin ich wieder auf der Gewinnerstraße, denn auch mein Turm auf b8 lebt
wieder.
33.Sc7+ Kf7 34.Sa6 und beim Ausführen dieses Zuges
fällt die Zeit meines Gegners, nach 34...b3 stehe ich überlegen, da
diverse Mattdrohungen auf der Grundreihe funktionieren. Ein nicht unwichtiger
Sieg für die Mannschaft, auch wenn wir am Ende 5½:½ gewonnen
haben, da viele meine Stellung als schlecht eingeschätzt hatten und der
Punkt somit unerwartet kam. 0-1
An den anderen Brettern sah es überall ausgeglichen bis besser für
uns aus. Jonas hatte ein vorbereitetes Figurenopfer aufs Brett gezaubert,
konnte die anschließend klar bessere Stellung aber leider nicht zum
Gewinn führen. Unser Mann für die vollen Punkte Sipke schlug nach
seiner Niederlage wieder zu und gewann seine Partie, genau wie Janek, der in
einem Najdorf-Sizilianer Mista das Fürchten lehrte. Die anderen Partien
endeten unentschieden und so stand am Ende ein überzeugender
5½:2½-Sieg zu Buche.
Damit haben wir vorerst die Abstiegsränge verlassen, sind aber der
Abstiegssorgen noch lange nicht ledig.. Unser Restprogramm hält noch
einige schwere Brocken bereit, von denen wir zumindest noch einen schlagen
müssen, denn unsere Konkurrenten haben noch mindestens einen Kampf gegen
eines der beiden abgeschlagenen Teams aus Rostock und München vor sich..
Die nächsten starken Gegner warten bereits am 21./22.2. in Hamburg auf
uns. Dann müssen wir versuchen gegen Mülheim und Solingen weitere
Punkte zu sammeln. Die ersten wichtigen Schritte sind also getan, weitere
müssen folgen.
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