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Der Hamburger Schachklub - 175 Jahre

- Aspekte aus seiner Historie -

 

Vorbemerkung

Der Hamburger Schachklub (HSK) besitzt eine handschriftlich geführte, in Leder gebundene Chronik, die - mit einer Unterbrechung von 1851 bis 1860 - vom Gründungsjahr 1830 bis zum Jahre 1945 geführt worden ist. Diese Chronik ist in deutscher Schrift geschrieben, allein schon dadurch für viele Interessierte kaum noch zu lesen, und natürlich nur schwer auswertbar, da die Handschrift keine Suchalgorithmen zulässt. Diese Chronik wurde inzwischen transkribiert und steht dem Verein als Datei zur Verfügung. Die Chronik enthielt auch einige gedruckte Unterlagen, z.B. Kassenberichte und Jahresberichte. Auch diese Unterlagen wurden in die Datei aufgenommen. Später kamen einige weitere Unterlagen aus dem Besitz des ehemaligen Vorsitzenden des HSK Hans Krieger sowie durch seine Vermittlung aus dem Besitz von GM Lothar Schmid hinzu.

Die folgenden ausgewählten Darstellungen beziehen sich auf diese Unterlagen und sind deshalb auf den Zeitraum von 1830 bis 1945 eingegrenzt.

 

Die Gründung

Eine Anfang des Jahres 1830 gespielte "öffentliche Partie" bot den äußeren Anlass für 13 Hamburger Bürger, sich am 8. Mai 1830 im Hotel "Zum Kronprinzen" am Jungfernstieg - auch heute noch eine sehr gute Adresse - zu versammeln und einen Schachklub zu gründen. Die Versammlungsmitglieder gaben sich sogleich eine Satzung und nannten sich "Hamburgische Gesellschaft vereinigter Schachfreunde".
Die 13 Gründungsmitglieder waren "Stifter" oder "Stammmitglieder". Sie hatten viele Jahre gegenüber den später eintretenden Mitglieder gewisse Sonderrechte. So hatten zum Beispiel nur sie das Recht, in den monatlichen Versammlungen Vorschläge zu machen, wobei allerdings an der anschließenden Abstimmung alle Mitglieder teilnehmen konnten. - Beim Ausscheiden eines Stammmitglieds rückte das dienstälteste Mitglied als Stammmitglied nach.

Über die Aufnahme von neuen Mitgliedern entschied eine "Ballotage", bei der Kugeln verschiedener Farbe - als Zeichen für Zustimmung oder Ablehnung - in einen dafür bestimmten Kasten gelegt wurden. - Als Jahresbeitrag wurden 30 Mark Courant festgelegt.

Die Spielzeiten waren für unsere Vorstellungen sehr ungewöhnlich, nämlich an jedem Abend von 17 - 22 Uhr, das Lokal war für das Schachspiel aber schon von morgens 10 Uhr an geöffnet.

 

Die Mitgliederzahlen

Die Chronik enthält akribisch alle Entscheidungen über die Aufnahme von neuen Mitgliedern. Diese Aufzeichnungen sowie einige erhalten gebliebene gedruckte Mitgliederverzeichnisse gestatteten es dem Schachwart James Frankfurter, anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des HSK im Jahre 1930 ein Verzeichnis aller Mitglieder des HSK während dieser 100 Jahre zusammenzustellen. Dieses Verzeichnis wurde von Hans Krieger bei seinen Recherchen in der Koninklijke Bibliothek in Den Haag entdeckt. Es enthält die Namen von insgesamt 1.014 Mitgliedern.

Über die jeweils aktuelle Zahl der Mitglieder pro Jahr gibt dieses Verzeichnis keine Auskunft, weil zwar die Aufnahme, in aller Regel nicht aber das Austreten aus dem Verein festgehalten wurde. Hier helfen aber die erhalten gebliebenen Mitgliederverzeichnisse. Aus ihnen können folgende Mitgliederzahlen abgeleitet werden:

1878  1880  1883  1884  1885  1887  1889  1895  1896  1897 
53  71  68  68  90  96  61  66  75  70 

 

1898 

1899 

1900 

1901 

1902 

1917 

1918 

1921 

1931 

1932 

63 

70 

59 

57 

63 

155 

158 

168 

131 

129

 

Die Mitglieder

Eine der überraschenden und in gewissem Sinne auch enttäuschenden Erfahrungen beim Lesen der Chronik ist der Umstand, dass die Chronik so gut wie keine Erkenntnisse über die Lebensumstände der einzelnen Mitglieder aus deren privaten Bereich vermittelt.
Die Mitglieder werden namentlich in aller Regel nur mit engstem Bezug zu ihren schachlichen Erfolgen erwähnt. Ausnahmen finden sich in geringem Umfang nur für die Zeit des 2. Weltkrieges, als der damalige Vorsitzende Friederich für einige Gefallene und Verstorbene Nachrufe verfasst hat, die erhalten geblieben sind.

Es bleibt auch unklar, ob einige Mitglieder mit Namen, die zumindest in Hamburg einen guten Klang haben, identisch sind mit den Persönlichkeiten, die diesen guten Ruf begründet haben. Es handelt sich hierbei um Namen, deren Träger in Hamburg in unterschiedlicher Weise gewirkt haben, z.B. um Dr. Reimarus, Campbell, Dr. Sloman, Dr. A. Amsinck, E. Flügger, Martin Haller, Dr. C.N. Röding und Tornquist. Hier ließe sich durch Vergleich von Lebensdaten sicherlich noch einiges aufklären.

Der private Bereich der Mitglieder ist aus der Chronik nahezu völlig ausgespart. Das wird an einem markanten Beispiel besonders deutlich sichtbar: Anlässlich seiner 60-jährigen Mitgliedschaft im HSK wurde im Jahre 1899 für Dr. Antoine-Feill - 11 Jahre Vorsitzender und zum Zeitpunkt der Feier Ehrenvorsitzender des HSK - ein großes Fest ausgerichtet. Darüber berichtet eine mehrseitige Festschrift, die erhalten geblieben ist. Aber auch diese Festschrift verrät nichts über das Private, man erfährt an dieser Stelle nicht einmal seinen Beruf als Rechtsanwalt. Erst Unterlagen, die von Hans Krieger beschafft worden sind, weisen ihn als Kunstkenner und -sammler hohen Grades aus und lassen so eine andere wesentliche Seite seines Lebens erkennen. Den Umfang und Erfolg seiner Sammlung kann man erahnen, wenn in einer aktuellen Veröffentlichung der Hamburger Kunsthalle "Über das Sammeln von Kunst in Hamburg bis 1933" erwähnt wird, dass er im Jahre 1889 insgesamt 89 Werke moderner Maler aus seiner Sammlung für eine Kunstausstellung bereit gestellt hatte. Ein Jahr später lieh er zur "Ausstellung von Werken alter Meister aus Hamburger Privatbesitz" 20 Gemälde, und zwar neben Werken niederländischer Künstler u.a. eine Verhöhnung Christi von Dürer und Der heilige Augustinus von Rubens. Ein Jahr nach seinem Tod im Jahre 1902 wurde seine Sammlung Alter Meister - bestehend aus 34 Katalognummern - in Köln versteigert.

Es gab sicher in den Reihen des HSK eine Reihe anderer Mitglieder, deren privater Bereich in ähnlicher Weise Überraschendes zu bieten hätte.

 

Die Katastrophen

Wenn einem bewusst wird, wie wenig die Chronik über die Menschen des Klubs erzählt, so verwundert es nicht, wenn auch die Katastrophen, die über Hamburg hereingebrochen sind, fast nur Randbemerkungen bleiben. Es gab deren drei: der Hamburger Brand von 1842, der 1. Weltkrieg und die Geschehnisse im Dritten Reich.

Der Hamburger Brand von 1842

Der Hamburger Brand im Mai 1842 machte ungefähr 20.000 Menschen obdachlos und vernichtete etwa ein Drittel der damaligen Hamburger Bebauung. Die erste Versammlung des Klubs nach dem Brand fand am 08.06.1842 bei dem Wirt Berdien "vor dem Dammtor" statt. Wer die jetzigen Hamburger Verhältnisse kennt, muß unwillkürlich schmunzeln, wenn er erfährt, dass dieses Lokal im Sommer vom HSK gemietet wurde, damit die Mitglieder "auf dem Lande" spielen konnten.

Das Protokoll dieser Versammlung lautet:

"Der Unterzeichnete zeigte an: dass bei dem unglücklichen Brand auch das bisherige Klubhaus zerstört sei und in demselben auch das ganze Material des Schachklubs seinen Untergang gefunden habe: Die Direktion habe nicht für nötig erachtet gehabt, eine Versicherung zu machen, da für gewöhnliche Fälle eine Rettung leicht möglich gewesen sein würde, bei einem solchen furchtbaren Unglück aber selbst die Versicherung, wie die Erfahrung zeige, unzulänglich gewesen sein würde. Es handele sich nun darum, vorläufig ein geeignetes Lokal zu den Versammlungen zu nehmen sowie neue Spiele zu kaufen und wegen der öffentlichen Partien mit Breslau Beschluss zu fassen. Es ward darauf beschlossen: Vorläufig einige Spiele von einzelnen Mitgliedern, die sich dazu erboten (Herr Glave, Herr Levy, Herr Glüer), gleich auch nach Berdien zu schicken, um möglichst bald Gelegenheit zu geben, sich dem Schachspiel widmen zu können. Es ward sodann Herr Schmeichel beauftragt, neue Spiele billigstmöglich zu kaufen und auch für ein passliches Lokal in der Stadt zu sorgen. Der Unterzeichnete ward beauftragt, nach Breslau zu schreiben und dem dortigen Klub anzuzeigen, dass wegen obwaltender Umstände es wünschenswert sei, die Fortsetzung der Partien vorläufig bis zum Herbst auszusetzen."

Bei dem Brand scheint auch ein besonders wertvolles Kunstwerk verloren gegangen zu sein. Nach einer Broschüre, die 1905 aus Anlass des 75jährigen Bestehens des HSK entstanden ist, bestand das Kunstwerk "aus einem prachtvollen, ganz aus Bernstein gearbeiteten Brette, das einst im Besitze August des Starken von Polen gewesen war und nach dem Alter des Brettes und der kunstvollen Ausführung der zahlreichen darauf angebrachten Medaillons, die Gegenstände der griechischen Mythologie oder Jagdstücke darstellten, zu urteilen, nur von Albrecht Dürer verfertigt sein konnte." - Der Wert dieses Brettes wurde auf einige tausend Taler geschätzt.

Schon wenige Monate nach dem verheerenden Brand - im September 1842 - hatte der Klub ein neues Lokal in der Nähe des bisherigen gefunden und auch schon wieder mehrere Spiele angeschafft.

Der 1. Weltkrieg

Die erste Erwähnung des 1. Weltkriegs findet sich im Protokoll der Versammlung vom 27.10.1914. Auf dieser Sitzung wird beschlossen, den im Felde befindlichen Mitgliedern, wenn sie es wünschen, den Jahresbeitrag zu erlassen.
Ein geplantes Turnier des Niederelbischen Schachbundes mit dänischen Spielern wurde verschoben und auch der übliche "Massenwettkampf" am Bußtag sowie das Turnier um die Hamburger Meisterschaft fielen aus, weil mehrere Beteiligte eingezogen waren.
Auf Anregung eines Mitglieds sollten Schachspiele an die Soldaten im Felde und an die Verwundeten in den Lazaretten geschickt werden.
Auch in den folgenden Jahren fielen die üblichen Turniere und größeren Veranstaltungen aus.

Aus dem Protokoll vom 27.04.1915 erfahren wir, dass 42 Mitglieder zum Militär einberufen waren, dass aber glücklicherweise noch keinem ein ernstlicher Unfall zugestoßen sei.
Dann allerdings folgen schlechte Nachrichten: im November 1915 und im Oktober 1916 berichtet die Chronik jeweils von zwei im Kriege gefallenen Mitgliedern, im Oktober 1917 musste der Vorsitzende Robinow von vier Mitgliedern berichten, die im Krieg gefallen waren. 1916/17 waren 52 Mitglieder des HSK zu Kriegsdiensten eingezogen oder - wie es im Jahresbericht heißt - sie standen "unter den Fahnen".

Schon im Herbst 1918 normalisierte sich das Leben wieder: am 20. November - Bußtag - fand wieder der beliebte "Massenwettkampf" zwischen den Hamburger und umliegenden Schachvereinen statt (Altona und andere Städte und Gemeinden gehörten seinerzeit noch nicht zu Hamburg) und im Winter sollten im HSK wieder die gewohnten "Klassenturniere" gespielt werden.

Das Dritte Reich - Judenverfolgung und 2. Weltkrieg

Das Dritte Reich hinterließ sein ersten Spuren im Protokoll vom Mai 1933.

Es heißt dort:

"Herr Walter Robinow versammelte am Klubabend, den 25. April 1933, die Mitglieder um sich, um die Erklärung abzugeben, dass er sich zu seinem Bedauern gezwungen sehe, sein Amt als Vorsitzender unseres Klubs, das er fast 25 Jahre lang innegehabt hätte, anlässlich der politischen Ereignisse in Deutschland, die sich auch auf die Schachverbände und Schachvereine ausgedehnt hätten, niederzulegen. Herr James Frankfurter sprach in längeren Ausführungen im Namen der Mitglieder des Klubs sein Bedauern über den Entschluss des Herrn Robinow aus."

Der Protokollführer beging eine gewollte oder ungewollte Ungenauigkeit, als er von einem "Entschluss" Robinows schrieb. Robinow - der seinerzeit auch schon seit 1920 Präsident des Deutschen Schachbundes war - musste nach den Direktiven der neuen Machthaber als Jude von allen Ämtern zurücktreten. Am selben Tage gaben auch Dr. Alexander - Schriftführer des HSK - und H. Falk - Schriftleiter der "Mitteilungen des HSK" - ihre Ämter auf, zumindest letzterer auch, wie die Unterlagen belegen, aus "politischen Gründen". Am 29.07.1933 verließ auch der Schachwart James Frankfurter den Klub, eine herausragende organisatorische Persönlichkeit und fast 50 Jahre Mitglied im HSK nach der durch ihn beförderten Zusammenführung mit dem Schachklub Stazir.

Trotz der mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten einhergehenden Judenverfolgung wurde den unfreiwillig ausgeschiedenen jüdischen Mitgliedern auf der Hauptversammlung am 08. 08.1933 noch der Dank der Mitglieder in unverhüllter Form mit folgenden Worten ausgesprochen:

"Der Leiter H. Bauer gedachte in Dankbarkeit der bisherigen Leiter und Mitarbeiter und aller Herren, die in über hundert Jahren den Klub gefördert und groß gemacht haben."

Auch das Vereinsrecht wurde schon sehr bald ausgehebelt. Der HSK konnte seine Vorsitzenden nicht mehr wählen. Sie wurden ab Oktober 1933 vom zuständigen Niederelbischen Schachbund bestimmt. Auf diese Weise wurde zunächst Otto Junge - Vater von Klaus Junge - Vorsitzender des HSK. Er ließ sich aber seine Bestellung noch durch ein einstimmiges Votum der Mitglieder betätigen. Schon ein Jahr später trat Otto Junge zurück und es wurde Ernst Friederich zum "Leiter" bestellt, der dieses Amt bis kurz nach Beendigung des Krieges wahrnahm und ab 1939 auch die Chronik führte.

Der beginnende 2. Weltkrieg spiegelt sich in der Chronik - wie auch schon beim 1. Weltkrieg - insbesondere durch die Mitteilungen über die im Krieg gefallenen Mitglieder wieder. Am Ende des Krieges musste der Klub den Tod von neun Mitgliedern beklagen, die im Krieg - meist an der Ostfront - gefallen oder durch Kriegseinwirkungen ums Leben gekommen waren. Der bekannteste von ihnen war Klaus Junge, der in den letzten Kriegstagen vor den Toren Hamburgs gefallen ist.

Das Schachleben war in den ersten Kriegsjahren noch erstaunlich rege. Die Klubchronik berichtet von mehreren Winterturnieren und vielen Wettkämpfen. Sogar die Mitgliederzahl stieg von 99 im Jahre 1941 auf 107 im Jahre 1942. Der Klub hatte zu der Zeit sein Spiellokal Im Hotel Continental gegenüber vom Hauptbahnhof. Die Zahl der Räume, die der Klub dort nutzen konnte, wurde 1942 eingeschränkt, um Flakurlaubern die Möglichkeit zu geben, sich dort zu erholen. 1943 wird die Lage deutlich bedrohlicher. Auszüge aus dem Originaltext der Chronik belegen das:

"Die Lokalfrage bringt einmal wieder neue Schwierigkeiten: Unser schönes Heim im Conti wird beschlagnahmt - für Urlauber der Flak. Im Hinterraum des Restaurants führen wir ein bescheidenes Dasein, bis wir dann im Restaurant des Schauspielhauses dank des verständnisvollen Entgegenkommens seines Inhabers Herrn Bietendorf dort ein Klubzimmer erhalten, wo wir wieder spielen, Turniere durchführen und Sitzungen abhalten können. Doch nach einiger Zeit müssen wir auch diesen Raum der Kulturkammer abtreten. Wir verdrücken uns in eine hintere Ecke des Restaurants und versuchen im täglichen Verkehr mit einem kleinen Stamm eine Auflösung des H.S.Kl´s hintenan zu halten und den immer häufiger erscheinenden Urlaubern Gelegenheit zu geben, einige schöne Stunden bei uns zu verleben. - Turniere und Versammlungen fallen fort, immer häufiger müssen wir vom Brett weg in den Bunker flüchten.

Die Störungen durch zunehmende Einberufungen während laufender Veranstaltungen, durch vermehrte Luftangriffe wirken sich mehr und mehr in der Hamburger Schachgemeinde hemmend aus. Das Turnier um die Vereinsmeisterschaft wird zwar angesetzt, endet aber als Torso und das Resultat der Kämpfe spiegelt unzuverlässig die Spielstärke der einzelnen Vereine."

Im Juli 1943 begann mit dem von den Briten "Operation Gomorrha" genannten Luftangriff auf Hamburg die schlimmste Zeit für die Stadt. Der HSK - der sein karges Domizil inmitten der Innenstadt hatte - blieb nicht von den Auswirkungen dieses und der folgenden Bombenangriffe verschont. Auch an dieser Stelle möchte ich den Originaltext der Chronik sprechen lassen:

"In der glühend heißen 4. Juliwoche brach dann über Hamburg die furchtbare Katastrophe herein, größer und schrecklicher wohl noch als die im Jahre 1842. In vier Nächten orgelten Tausende von Feindfliegern über die Stadt hinweg, mit ihren Brand- und Sprengbomben, mit Feuer und Phosphor Tod und Verderben bringend. Viele Tausende verloren unter Trümmern im Feuer, im Wasser ihr Leben, Hunderttausende Besitz und Gesundheit. Flammen und Rauch stiegen zum Himmel und verdunkelten die Sonne.

Ein Bild tristen Jammers, als in diesen Tagen die ganze Bevölkerung aus der Innenstadt in der Sonnenglut mit dem letzten Rest ihrer Habe, einem Koffer, einem Bett nach außen strömte, um dort, auf freien Plätzen sich lagernd, Rettung und Ruhe zu suchen, bis sie dann nach und nach weiter befördert wurde, nach dem Osten, nach Schlesien, nach dem Süden. Viele der Flüchtlinge haben ihr schönes Hamburg nicht wiedergesehen.

Der H.S.K. verlor in diesen Tagen seine herrliche Bibliothek, eine der größten und bedeutendsten in Deutschland.

Das Protokoll, in dem ich dieses niederschreibe, konnte ich mit Mühe und Not noch vor dem Feuer retten. Nehmen wir das als gutes Zeichen für die zukünftige Entwicklung und den Wiederaufbau.

Trotz allem: Der H.S.K. wird leben!"

Mit diesen Worten enden die handschriftlichen Aufzeichnungen in der handschriftlich geführten Chronik.

 

Das gesellschaftliche Leben

Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass das gesellschaftliche Leben in den früheren Jahren deutlich anders ausgeprägt war als in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Möglicherweise waren sogar die gesellschaftlichen Umstände und Annehmlichkeiten der Motor zur Gründung des Klubs. Welche Bedeutung die Dinge um das Schach herum gehabt haben, ist zu erahnen, wenn man die Feierlichkeiten anlässlich des einjährigen Bestehens des Klubs am 11. Mai 1831 Revue passieren lässt, an der 27 Herren teilnahmen. Nicht alle waren Mitglieder, sondern acht der Teilnehmer waren eingeführte Gäste. Die Chronik gibt über den Verlauf des langen Abends ausführlich Auskunft.

"Nachdem von 6:30 Uhr an mehrere zum Teil sehr interessante Partien Schach gespielt waren - es waren zu einer Zeit 7 Schachspiele in Tätigkeit - begab sich die Gesellschaft um 9:30 Uhr in die unteren Zimmer, in welchen die festlich mit Blumen geschmückte Tafel sie erwartete. Nach dem ersten Gericht, welches ungebührlich lange auf sich warten ließ, der einzige Tadel vielleicht, welcher die sonst zu aller Zufriedenheit ausgefallene Bewirtung treffen konnte, nach dem ersten Gericht erbat sich Dr. Buck das Wort und trug einen ad acta gelegten Aufsatz vor. Nachdem er in der Einleitung nachgewiesen, dass das Schachspiel sich wohl eigne, bei der Tafel verhandelt zu werden, indem Schachspiel und Trinken sehr nahe verwandte Dinge wären, gab er eine kurze Übersicht der Geschichte unserer Gesellschaft während des ersten Jahres ihres Bestehens und endete mit einem Toast auf das Wohl und Gedeihen derselben, in welchen alle Anwesenden freudig einstimmten. Die später von Herrn Schmeichel ausgebrachte Gesundheit der anwesenden Gäste beantwortete Herr Breede, genannt de Fibre, mit einem Gedicht, von welchem er so gütig war, eine Abschrift ad acta zu legen. Unter den übrigen Toasten, deren eine reichliche Menge ausgebracht wurden, zeichneten sich mehrere durch Witz und Laune vorteilhaft aus, wie denn überhaupt ein Geist des Frohsinns und der Heiterkeit sich über alle Anwesenden verbreitete und bei ihnen den Wunsch rege machte, sich recht bald einer Wiederholung dieses Festes zu erfreuen. Der unterzeichnete Sekretär übernahm es, in der nächsten Monatsversammlung einen Vorschlag in dieser Hinsicht zur Sprache zu bringen. Nachdem sich um 11:30 Uhr mehrere der Anwesenden, die außer der Stadt wohnend, entfernt hatten, rückten die anderen näher zusammen, was einer der Gäste recht unpassend eine freie Rochade nannte, und gleich dem Champagner, der jetzt auf der Tafel kreiste, sprudelte Witz und Lust unter den Anwesenden, die sich erst nach 1 Uhr trennten."

Die Bedienung bekam zum Abschied 1 Louisdor Trinkgeld.

Man soll nicht glauben, dass diese Feier einmalig war. Das Stiftungsfest wurde sehr häufig in der zeitlichen Nähe des Jahrestags der Gründung des HSK gefeiert und hat in veränderter Form - aber unter gleichem Namen - seine Tradition bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg bewahrt.

Auch andere Anlässe zum Feiern wurden gern und ausgiebig genutzt. Ein schönes Beispiel bietet die schon erwähnte Feier, die der Klub anlässlich der 60jährigen Mitgliedschaft des Ehrenvorsitzenden Dr. Antoine-Feill im Jahre 1899 ausgerichtet hat. Die Speisefolge des Menüs lässt den Unterschied zu heutigen Feiern sehr deutlich werden. Zur Eröffnung gab es Oxtail-Suppe, gefolgt von Austern-Ragout. Als erstes Hauptgericht wurde Filetbraten mit jungem Gemüse gereicht, danach - wohl nach einer längeren Pause - gebratene Poularde mit Kompott und Salat. Als Nachtisch wurden Eis, Käse, Butter und Brot und Früchte geboten. Diese aufwendige Feier wurde vom wohlhabenden Jubilar mit 500 Mark unterstützt. Wenn man bedenkt, dass der Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft im Klub seinerzeit 8 Mark betrug, erhält man eine gute Vorstellung von der Bedeutung des Zuschusses, den der damals 80jährige Jubilar geleistet hat.

Bei dem ausgeprägten Hang, die Feste zu feiern, wie sie fallen, bedarf es eigentlich keiner Erwähnung, dass die Dezennienfeiern besonders aufwendig gestaltet wurden. Als Orte der Feierlichkeit wurden erste Hamburger Adressen gewählt, zum Beispiel das Uhlenhorster Fährhaus, der Festsaal der Alsterlust, das Curiohaus, das Logenhaus oder Sagebiel in Blankenese. Das 80jährige Jubiläum des Klubs im Jahre 1910 wurde zum Anlass genommen, den XVII. Internationalen Kongress des Deutschen Schachbundes auszurichten, das durch ein Festmahl mit 200 Personen eingeläutet und durch ein Festmahl mit anschließender Kaffeetafel ausgeläutet wurde. Bei der Gelegenheit wurde auch eine Internationale Schachausstellung mit kulturgeschichtlich interessanten, künstlerisch wertvollen Schachspielen und einer reichhaltigen Schachliteratur ausgerichtet, zu der der Hamburger Schachklub allein 325 Nummern beisteuerte, ein Ereignis, das der HSK im Jahr seines 175jährigen Bestens wiederholen wird.

 

Das Damenschach

Der Klub war über viele Jahrzehnte ein reiner Männerverein. Andere Vereine in Hamburg waren in dem Punkt weniger konservativ: An einer vom HSK am 30.01.1904 mit dem damaligen Weltmeister Lasker organisierten Simultanveranstaltung an 31 Brettern nahmen auch drei Damen teil. Diese waren aber nicht Mitglieder des HSK, sondern Mitglieder des St. Georger Schachklubs aus der Hamburger Nachbarschaft. Ein Jahr später im Mai 1905 richtete der Niederelbische Schachverband in Hamburg seinen 9. Kongress aus und startete im Rahmen mehrerer Meisterschaftsturniere auch ein Damenturnier mit acht Teilnehmerinnen. Auch von denen war keine Mitglied im HSK. Im Oktober 1908 weilte Weltmeister Lasker erneut in Hamburg und hielt vor ca. 200 Personen - darunter viele Damen, wie die Berichte ausweisen - einen Vortrag. Obwohl somit in Hamburg anscheinend auch bei Frauen ein schachliches Interesse vorlag, änderte sich in diesem Punkte an der Mitgliederstruktur des HSK nichts.

Erst im November 1912 wurde auf Anregung mehrerer Mitglieder der Versuch gemacht, eine Damenabteilung zu gründen und zwei spielstarke Mitglieder erklärten sich bereit, entsprechenden Unterricht zu erteilen. Aber schon kurze Zeit später wurde dieser Versuch wieder abgebrochen, da "trotz der lehrreichen Vorträge des Meisters Krüger der Besuch der Damen immer geringer wurde und wir Mitte Dezember deswegen den Versuch als gescheitert betrachten mussten".

Die erste Frau, die offiziell Mitglied wurde, war allem Anschein nach Fräulein Hanna Marcus, die 1920 in den HSK eingetreten ist. Ihr folgten jährlich etwa ein weiteres weibliches Mitglied. Im letzten erhalten gebliebenen Mitgliedsverzeichnis aus der Spielzeit 1931/32 sind neun weibliche Mitglieder (von 129) aufgeführt. Das entspricht ziemlich genau der prozentualen Verteilung, wie sie sich derzeit im Deutschen Schachbund darstellt.

 

Die Einladung von Spitzenspielern

Der Klub hat im Laufe seines Bestehens immer wieder Spitzenspieler insbesondere zu Simultanproduktionen, Vorträgen und Beratungspartien eingeladen. Der Klub profitierte dabei von seinen zum Teil recht wohlhabenden Mitgliedern, die diese Besuche finanziell unterstützten, aber auch von der Gunst des Hamburger Hafens, der seinerzeit für viele Spitzenspieler Ausgangsort für ihre Schiffs-passagen in überseeische Länder waren. So tauchen in den Annalen des Klubs so traditionsreiche Namen auf wie

Mieses (Simultanvorstellung 1893 und Wettkampf gegen Meister Bier (HSK), Blindvorstellung 1907 und 1910 und Simultanvorstellung 1924, Vortrag 1927),
Taubenhaus (Simultanvorstellung 1894),
Steinitz (Simultanvorstellung 1896),
Albin (gleichzeitige Blindspiel- und Simultanvorstellung und Wettkampf gegen Dimer (HSK) 1898),
Schlechter (Besuch 1899),
von Bardeleben (Simultanvorstellung 1901),
Pillsbury (Blindvorstellung 1902),
Marshall (Simultanvorstellungen 1902 und 1905 und 1908),
Tschigorin (Konsultationspartie 1903 mit Teichmann und Dimer (HSK) gegen Lasker, Metger und Bier (HSK)),
Capablanca (Simultanvorstellung 1911),
Rubinstein (Simultanvorstellung 1925),
Sämisch (Simultanvorstellungen 1927 und 1934),
Bogoljubow (Handicapvorstellung 1929 und Simultanvorstellung 1931),
Stahlberg (Simultanvorstellung 1934).

Eine besonders enge Beziehung scheint zum Weltmeister Emanuel Lasker bestanden zu haben. Seine Besuche im HSK lassen sich am besten in tabellarischer Form darstellen:

1896 Demonstrationsvortrag und Simultanvorstellung an 25 Brettern
1901

Alternierendes Simultanspiel zusammen mit Meister Maroczy an 29 Brettern, außerdem am folgenden Tag eine Beratungspartie. Laut Kassenbericht erhielten beide dafür zusammen ein Honorar von 250 Mark.

1903

Beratungspartie mit Metger und Bier gegen Tschigorin, Teichmann und Dimer (der für die siegreiche Mannschaft um Lasker ausgesetzte Preis von 120 Mark wurde geteilt).

1904 Simultanvorstellung an 31 Brettern.
1908 Vortrag über den Wettkampf gegen Dr. Tarrasch.
1911 Vortrag und Simultanvorstellung an 19 Brettern.
1914 Vortrag und Simultanvorstellung an 29 Brettern.
1924 Simultanvorstellung an 26 Brettern.

 

Der Spielbetrieb

Der Spielbetrieb wurde im Mai 1830 im Hotel "Zum Kronprinzen" mit der Idee eines täglichen Spielbetriebs aufgenommen. Auf der Gründungsversammlung wurde beschlossen, dass der Klub seine Sitzungen jeden Abend von 17 bis 22 Uhr abhalten werde, dass das Spiellokal aber schon morgens ab 10 Uhr für das Schachspiel eröffnet sei. Bald aber begannen die Sorgen mit dem Spiellokal, die den Klub in unterschiedlicher Ausprägung mehr als 100 Jahre begleiteten. Schon im Juli 1830 regte sich bei den Mitgliedern der Wunsch, recht bald ein größeres und passenderes Lokal zu mieten. Daraufhin wurde im August 1830 mit der Wirtin des Canning Hotels ein Mietvertrag über zwei Zimmer geschlossen, dem viele weitere Lokalwechsel folgten.

Der Klub war schon kurz nach seiner Gründung von Krisen geschüttelt. Im Protokoll vom 9. Januar 1832 steht zum Beispiel zu lesen, dass Maßregeln zur Belebung des Klubs getroffen werden müssten, wenn der Spielbetrieb nicht binnen kurzer Zeit ganz einschlafen solle. Und wenige Monate später - im August 1832 - scheint die Lage noch dramatischer geworden zu sein, denn es wurde darüber beraten, welche Mittel zu ergreifen seien, um den an gänzlicher Lethargie dahinsterbenden Klub wieder zu beleben. Laut Protokoll waren sämtliche Anwesenden der Meinung, dass der Schachklub, wenn nicht bald passende Maßregeln ergriffen würden, seiner unvermeidlichen Auflösung entgegengehe. Der Klub hat sich in den folgenden Monaten und Jahren von dieser Gründungskrise anscheinend erholt, denn vergleichbar selbstkritische Untergangstöne finden sich in späteren Jahren nicht wieder.

Eine Kuriosität soll aber noch erwähnt werden: Im Herbst 1837 wurde beschlossen, kein Lokal zu mieten, sondern die Versammlungen des Klubs gegen Erlass des Beitrags alternierend in den Wohnungen der Mitglieder abzuhalten, die dazu in der Lage wären. Die Bewirtung wurde ausgeschlossen, Tee und Wein wurden erlaubt, aber "in den Grenzen der Mäßigkeit". Später wurde auch noch beschlossen, den Dienstboten der Mitglieder, die ihre Wohnungen zur Verfügung stellten, ein Trinkgeld von 2 Mark aus der Klubkasse zu gewähren. Insgesamt ließen auf diese Weise sechs Mitglieder ihre Wohnungen nutzen, wobei sie in aller Regel ein gutes Dutzend Besucher erwarten konnten. - Ein angenehmer Nebeneffekt entstand am Rande: Der Klub mehrte durch Einsparung der Miete sein Vermögen. Daraufhin stellte der Kassenwart am 12.10.1838 den erstaunlichen und durchaus erwähnenswerten Antrag, 60 der insgesamt vorhandenen 192 Courantmark Notleidenden zur Verfügung zu stellen. Diesem Antrag wurde stattgegeben.

Ab Herbst 1840 mietete der Klub mit den üblichen häufigen Veränderungen wieder Räume in Hotels und anderen Einrichtungen, wonach auch die Besucherzahl deutlich anstieg.

Eine recht konkrete Vorstellung vom Spielbetrieb bieten auch die Inventarverzeichnisse, deren zwei erhalten geblieben sind. Schon drei Tage nach Gründung der Gesellschaft wurde eines der Mitglieder beauftragt, folgende Utensilien zu beschaffen:

Sechs Schachspiele,
ein Ballotage-Apparat,
eine Büchse,
eine Tafel für Anschläge,
vier Protokollbücher (für die Kasse, für die Fremdem, für die monatlichen und für die täglichen Versammlungen).

Mit dem Ballotage-Apparat wurde über die Aufnahme neuer Mitglieder abgestimmt. - Die Aufzählung dieser Gegenstände macht zum einen den Umfang des Spielbetriebs deutlich, lässt aber auch erkennen, dass die Mitglieder - wohl überwiegend der Hamburger Kaufmannschaft entstammend - großen Wert auf eine einwandfreie Buchführung legten.

Sieben Jahre später - im November 1837 - hatte sich das Bild nicht wesentlich geändert. Der Klub legte seinerzeit das folgende, sehr detaillierte Inventarverzeichnis an:

Acht Mahagoni-Spieltische,
Acht Schachbretter zu Zweischach, wovon zwei mit Löchern,
Ein Schachbrett zu Vierschach,
Neun Kästen mit Schachspielen, wovon eines mit Pflöcken und eines grün und rot, die anderen alle gelblich und schwarz,
1 blecherner brauner Ballotage-Kasten,
1 blecherne braune Büchse,
1 Tafel mit Mahagoni, Rahmen und oben mit Schachfiguren verziert,
1 Tafel mit Mahagoni Rahmen: Beide mit grünem Tuch überzogen,
1 Kochs Codex der Schachspielkunst 3 Bände,
1 Alexandre Encyclopédie des Echecs.

Fast 50 Jahre später - im Februar 1885 - trat der Schachclub Stazir mit 14 Mitgliedern geschlossen zum HSK über. Dabei wurde vereinbart, dass diese Mitglieder bis zum Jahresende keinen Beitrag zu zahlen hätten und dass dafür das Inventar des Klubs Stazir in das Eigentum des HSK übergehen würde. Auch dieses Inventarverzeichnis ist erhalten. Es führte folgende Gegenstände auf:

23 Schachwerke,
1 Abonnement auf Deutsche Schachzeitung 1885,
1 Abonnement auf Chess Monthly I. Quartal,
7 Schachspiele,
1 Schrank,
Diverse Schachbilder.

Eine Protokollstelle vom 6.12.1830 lässt erahnen, dass schon vor 150 Jahren Probleme bestanden, die auch heutzutage noch nicht gänzlich gelöst sind. Ein Mitglied äußerte den Wunsch, dass der "Aufwärter" - das war wohl nach unseren heutigen Verständnis der Spielwart oder Gerätewart - angewiesen werden möchte, die Schachspiele gehörig in Ordnung zu halten. Auf die Bemerkung, "dass dieses eine leichte Sache für die Spielenden sei", wurde beschlossen, "dass, wenn zwei Spieler aufhörten, derjenige, welcher die letzte Partie verloren, die Figuren richtig gezählt wieder einzupacken habe und auf den Unterlassungsfall ward eine für die Armen bestimmte Strafe von 4 Schilling gesetzt. N.B. - sobald sie sich eintreiben lässt." - Das "Nota bene" lässt auf eine gewisse Skepsis des Protokollführers schließen.

 

Die Spielregeln

Verbindliche Spielregeln für das Schach wurden erst 1929 von der FIDE beschlossen. Gleichwohl wurde in den Jahrzehnten zuvor in ernsthaften Wettkämpfen schon nach den später von der FIDE statuierten Regeln gespielt, aber in den Amateurkreisen wird sich vor 1929 noch manche Besonderheit erhalten haben. Für einen Schachklub, der 1830 gegründet wurde, war es unumgänglich, für seine Mitglieder einheitliche Spielregeln aufzustellen. Deshalb war es nach der Gründung des HSK eine der ersten Aufgaben des Vorstands, solche Regeln zu erarbeiten. Erhalten geblieben ist eine Spielordnung vom Sommer 1831. Sie enthält eine Reihe von Regeln, die uns aus heutiger Sicht merkwürdig erscheinen und uns einen deutlichen Blick auf das damalige Spielverständnis werfen lassen. In folgenden erwähnenswerten Punkten wichen die seinerzeit festgelegten Regeln von unseren heutigen Regeln ab:

- falls das Brett oder die Steine unrichtig aufgestellt waren, hatte derjenige Spieler, welcher den Fehler vor seinem vierten Zuge bemerkt, das Recht, die Aufhebung des Spiels zu verlangen. War aber beiderseitig schon viermal gezogen, so musste das Spiel fortgesetzt werden, wenn nicht gemeinschaftlich die Aufhebung beschlossen wurde.

- die Regel "berührt - geführt" galt schon damals, aber mit der Besonderheit, dass der König einen Strafzug machen musste, wenn die berührte Figur - weil z.B. gefesselt - nicht ziehen konnte.

- es wurde ausdrücklich bestimmt, dass (auch) im ersten Zug nur eine Figur ziehen darf. Damit wurde die vielfach geübte Praxis, im ersten Zug zwei Bauern einen Schritt vorrücken zu lassen, unterbunden.

- wenn ein Spieler einen regelwidrigen Zug seines Gegners festgestellt hatte, konnte er, solange er noch nicht gezogen hatte, die Rücknahme des Zuges verlangen, wobei der Gegner seines Zuges verlustig ging. Er konnte aber auch den Zug gelten lassen, wenn er das für günstiger hielt.

- Schachgebote gegenüber dem König oder Angriffe auf die Dame mussten expressis verbis angesagt werden. Falls der Angreifer das unterließ, durfte er im folgenden Zug die Dame nicht nehmen und der König brauchte den gegen ihn gerichteten Angriff nicht zu beachten.

- wenn "Schach" angesagt wurde, ohne dass der König tatsächlich im Schach stand, dann durfte ein Zug zurückgenommen werden, der zur Abwehr des falschen Schachgebots getan worden war.

- anstelle der heute üblichen Rochade war die italienische oder sogenannte freie Rochade üblich. Sie unterschied sich von den jetzigen Rochaden dadurch, dass nach Ausführung der Langen Rochade der König auf b1 und der Turm auf c1 standen.

- die folgende Regel ist interpretationsfähig. Sie lautete: "Das s.g. Begrüßen der Bauern (non passer) findet nicht statt." - Wahrscheinlich war damit das heutige "Schlagen en passant" außer Kraft gesetzt.

- auch bei der Umwandlung der Bauern gab es abweichende Regeln: Wenn noch kein Offizier verloren gegangen war, blieb der Bauer auf dem Umwandlungsfeld stehen. Er wurde sodann im Moment des Schlagens in den ersten geschlagenen Offizier verwandelt. Es durften dadurch aber nicht zwei Läufer gleicher Farbe entstehen. Der hoffnungsvoll auf seine Umwandlung wartende Bauer durfte in der Zwischenzeit auch geschlagen werden.

- es wurde ausdrücklich erlaubt, einen von allen Steinen entblößten König matt zu setzen. Die Fixierung dieser Regel bedeutet wohl, dass ein derart schutzloser König unter anderen Spielregeln anscheinend einen besonderen Status genoss.

- eine aus unserer Sicht unglaubliche Regel findet sich am Ende dieser Spielordnung. Sie sei wörtlich zitiert: "Wenn man wirklich matt setzt, ohne es ausdrücklich durch Schachmatt! oder matt! angesagt zu haben, so ist dadurch als durch ein blindes Matt das Spiel nur halb gewonnen."

 

Die Korrespondenzpartien

In den ersten Jahren nach der Gründung des Klubs wurde eine Reihe von Korrespondenzpartien mit anderen Schachvereinen gespielt. Die Züge wurden in einigen Fällen postalisch übermittelt, in einigen Fällen bediente man sich aber auch der Methode, die Züge in örtlichen Zeitungen veröffentlichen zu lassen, um auf diese Weise Kenntnis von den Zügen der Gegner zu bekommen. Diese Partien wurden deshalb in der Chronik auch als "öffentliche Partien" bezeichnet.

Die ersten beiden Korrespondenzpartien wurden 1830/31 gegen Kiel ausgetragen. Sie endeten 1½ : ½ für Hamburg. Diese Partien sind nicht erhalten. Die ersten überlieferten Korrespondenzpartien stammen aus einem Wettkampf, der in den Jahren 1833 - 1836 mit einem Berliner Klub, der 1803 gegründet, aber anscheinend 1836 aufgelöst wurde, ausgetragen wurde. Die erste der beiden Partien endete schon nach 8 Monaten mit einem Sieg des HSK, der durch ein festliches Abendessen "mit edlem Champagner" gefeiert wurde. Die zweite Partie endete erst 1836 unentschieden.

Auch die beiden Partien gegen Breslau, die von 1840 bis 1842 gespielt worden sind, sind erhalten. Sie endeten mit je einem Partiegewinn beider Parteien.

Im Großen und Ganzen scheint die Neigung, Korrespondenzpartien auszutragen, nicht sehr ausgeprägt gewesen zu sein. In den Protokollen finden sich mehrere abschlägig beschiedenen Anfragen, in denen andere Vereine darum baten, eine Korrespondenzpartie gegen den HSK austragen zu wollen, so zum Beispiel von der Braunschweigischen Schachgesellschaft (1843), von der Schachgesellschaft Amsterdam (1843), vom Schachklub Kopenhagen (1845) und vom Lübecker Schachklub (1846). Der Wettkampf gegen den Lübecker Schachklub wurde allerdings von drei Mitgliedern des HSK privat, also ohne Absegnung durch den Vorstand des HSK, ausgetragen und siegreich beendet.

Wenn derartige Partien ausgetragen wurden, dann wurden sie formal sehr wichtig genommen: Eine Vereinbarung über zwei Partien gegen die Berliner Schachgesellschaft wurde 1882 durch ein formvollendetes, von beiden Präsidenten unterschriebenes Vertragswerk mit 11 Paragraphen besiegelt. Es ging dabei um einen Einsatz von 300 Mark. Diese Partien endeten 1½ : ½ für die Berliner. In den Unterlagen findet sich mit den folgenden Worten eine nur wenig verbrämte Kritik über einige Spieler des HSK: "Leider war der größere Teil derjenigen Herren, welche die Leitung dieses Match übernommen, verhindert, sich derselben genügend zu widmen, um so mehr Anerkennung verdienen diejenigen, welche den Kampf gegen den überlegenen Gegner mit besonderer Zähigkeit weitergeführt hatten."

Im Jahre 1874 wurde mit dem Hamburger Schachklub des Bildungsvereins für Arbeiter vereinbart, eine Korrespondenzpartie auszutragen und hierfür eine Spielkommission von fünf Mitgliedern gewählt, wobei jeden Dienstag und Freitag die jeweiligen Züge mitgeteilt werden sollten. Der Ausgang dieser Partie ist nicht überliefert.

Im Jahre 1912 wurden zwei Korrespondenzpartien gegen den Schachklub "Ateneo Mercantile" in Valencia begonnen. Sie gediehen aber nur bis zum 22. und 24. Zug, dann ließen die Spanier nichts mehr von sich hören, vielleicht, weil - jedenfalls nach Hamburger Auffassung - beide Abbruchstellungen für Hamburg günstig waren.

Zum letzten Mal wird eine Korrespondenzpartie im Jahre 1932 erwähnt.
Aus einem Briefwechsel mit dem Club de Ajedrez in Barcelona ergab sich die Anregung, zwei Korrespondenzpartien zu spielen. Der Vorstand hatte den Spieler W. Schönmann mit der Führung der Partien beauftragt. Über den Verlauf auch dieser Partie ist allerdings nichts bekannt.

Claus Langmann

 

Nachwort: Ich danke Claus Langmann noch einmal sehr herzlich für seine auch durch das HSK Jubiläum motivierte große Arbeit, die wir hier nur in einer kurzen Zusammenfassung veröffentlichen können. Neben der von Thomas Woisin angeregten und von Claudia Thorn (thorn@dokusearch.com) verfassten Festschrift hat ja Claus Langmann die alten handgeschriebenen Chroniken und andere Dokumente aus der Geschichte unseres Klubs transkribiert und in einem mehrere hundert Seiten starken Werk für die Nachwelt lesbar gemacht. Diese HSK Chronik werden wir in wenigen Exemplaren für Interessenten [aus]drucken und eines auch der Hamburger Staatsbibliothek übergeben.
Wie selbst wir älteren Mitglieder des Klubs über die HSK Geschichte der frühen Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wenig wissen, ist für die jüngeren Mitglieder auch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, die wir selbst miterlebt haben, schon Geschichte. Es wäre schön, wenn wir älteren Mitglieder des Klubs die Serie von Claus mit anderen Mitteln fortsetzten und ihre eigenen Erinnerungen erzählten: an ihre ersten Jahre im Hamburger Schachklub von 1830; an die Klaus-Junge-Lehrgänge als den Beginn der Jugendarbeit; an die Gründung der SG HHUB, die 2006 in der Villa Finkenau, ihrem neuen Zuhause in unserer Nachbarschaft, ihr 50jähriges Jubiläum feiern wird; an Turniere und andere große Ereignisse wie die Auftritte von Weltklassespielern im Klub; an Menschen, die sie beeindruckt haben … Meine Themen sind nur Beispiele, am besten jeder entdeckt seine Themen selbst und erzählt den Jungen, bevor er nicht mehr erzählen kann. Oder die Jungen fragen die Alten? Aber das haben wir selber versäumt. Doch warum sollen es die heutigen Jungen nicht besser machen? Ich freue mich auf die Fortsetzung unserer historischen Serie!

ChZ

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