HSK 29: Starker Kampf gegen den Aufstiegsfavoriten

Schon wieder ein knappes Ergebnis im Vorfeld gegen einen Favoriten, und das noch leicht ersatzgeschwächt. Andererseits bleibt es bei nüchterner Betrachtung bei dem einen (einzigen) Mannschaftspunkt, den Christian Zickelbein in seiner Begrüßung als unser aktuelles Erkennungsmerkmal hervorhob.

Doch beginnen wir wie immer mit dem Geschehen im Vorfeld:
Ich war schon 18.00 Uhr vor Ort, konnte in Ruhe aufbauen und mir dann gelassen anschauen, wie die anderen drei HSK-Mannschaften ihre Spiele vorbereiteten. Im Schrank hatte jemand fleißig für Ordnung gesorgt. Die Mannschaftsschilder alphabetisch geordnet, die Brettschilder numerisch. Klasse, das war ein Genuss, was fing ich jetzt mit der freien Zeit an? Es war etwa 18.30 Uhr, da bat mich ein anderer MF, dem ich prinzipiell nichts abschlagen kann, mit unseren Brettern in die Nähe des Balkons umzuziehen und mir dabei zu helfen. Eine andere Mannschaft benötige einen Mittelplatz. Kein Problem. Aber als ich meinen Blick auf die geänderte Umgebung schweifen ließ, fehlte uns ein Figurensatz. Der MF war mir behilflich, doch im Haus gab es nichts Überzähliges von derselben Figurensorte. Also stibitzte ich nebenan vom Turniermaterial von „Kiek mal weder in“ einen Figurensatz unter den Augen von Hanns Schulz-Mirbach. Ich hoffe mal für mich, er war nur deswegen sprachlos, weil er Verständnis hatte und ich zu zweit auftauchte, was noch überzeugender wirkte.

Dietrich, der kurzfristig eingesprungen war, weil sich Andreas kurzfristig schwer erkältet hatte und spielunfähig war, einigte sich um 19:55 Uhr mit seiner über 150 Punkte besser gelisteten Gegnerin an Brett 8 auf Remis. Noch bevor ich nach dem Gratulieren dazu kam, um den gelben Partiedurchschlag zu bitten, war er schon weg, da er dringend erwartet wurde. Zu diesem Spiel hätte ich mich gerne informiert.

Wilhelm musste 20:15 Uhr gegen den Wandsbeker Helmuth Nikolaus aufgeben. In einem c3-Sizilianer war sein Gegner auf d5 vorgestoßen. Wilhelms auf c5 postierter Springer war nur durch d6 gedeckt. Als er vom Le3 geschlagen wurde, war e5 ohne Deckung und konnte vom Sf3 geschlagen werden, nach dessen Rückzug ließ Wilhelm die Gabel e4-e5 außer Acht und verlor kompensationslos seinen Springer auf f6.

Georg musste sich einer DWZ von 1802 stellen. Diesem mussten mein Gegner und ich zunächst ein übertrieben lautes, fast bellendes und nicht krankheitsbedingtes Kurzhusten abgewöhnen. Gegen die fast 400 Punkte Wertungsüberlegenheit wehrte sich Georg dann sehr gut. Sein Gegner verteidigte sich gegen Georgs Londoner System schwarzfeldrig mit d6 und g6, täuschte Königsindisch an (e5 kam aber nie, dafür später im 34. Zug) und tauschte dann auf b6 die Damen. Plötzlich kassierte er mit einem Turm auf der a-Linie und seinem Läufer früh Georgs Bauern auf a2. Georg behielt jedoch die bessere Struktur (nur eine einzige Bauerninsel, Schwarz hatte zwei davon und einen Doppelbauern) und hatte zum Schluss volle Kompensation, was man daran erkennt, dass der Computer Georgs Stellung trotz Minusbauern nur als leicht schlechter und zum Schluss als gleichwertig bewertete. Auch wenn also der inzwischen nach e6 vorgerückte Freibauer leicht aufzuhalten war, ging das Remis völlig in Ordnung, es hätte nur noch Zugwiederholungen geben können.

Helmut (Brett 5) lasse ich selbst zu Wort kommen: „Meine eigene Spielbewertung: Das von Weiß mit d4 eröffnete Spiel mit einer mir unbekannten Variante (Anmerkung Dieter: Londoner System, Helmuts Verteidigung: g6, c6, Db6) gestaltete sich wechselhaft mit Vorteilen mal für die eine und andere Seite. Die Wendepunkte waren wesentlich geprägt durch drei klare Fehler; zwei auf meiner, einen auf der gegnerischen weißen Seite. In Zug 38 verlor ich einen gefesselten Springer; in Zug 42 konnte ich bei einem unübersichtlichen Abtausch einen weißen Läufer zurückgewinnen. Bei Figuren-Gleichstand hatte ich dann eine Offensive mit meiner Dame auf der weißen Grundlinie mit mehreren Schachgeboten. 'Fritz 16' sah mich da zeitweilig in besserer Stellung; mir selbst schien zumindest ein Remis schon ziemlich sicher. Aber ich wollte die Chance zum Bauerngewinn für ein siegreiches Endspiel nutzen. Dabei sah mich 'Fritz' bis zum vorletzten Zug in ausgeglichener Stellung. Dann unterlief mir im Endspiel mit je einem Turm und Freibauern Fehler Nr. 2: Durch meinen Königszug zur Absicherung gegen ein Schachgebot des weißen Turms, der damit das Verwandlungsfeld des weißen Freibauern freimachte und deckte, hätte ich in der Folge meinen Turm für den weißen Bauern opfern müssen. Meinem eigenen Freibauern fehlte dagegen das nötige Tempo. Das bedeutete leider die Aufgabe (Anmerkung Dieter: 21.50 Uhr).“

Marianne überwand heute gegen einen Gegner, mit über 200 Punkten mehr klar favorisiert, ihr für ihre Verhältnisse ungewohntes Formtief in unserer Mannschaft. Die Stimmung zwischen beiden Spielern war offenbar gut, Peter flachste zwei, dreimal in einer Lautstärke, welche den Pegel der Turnierruhe überschritt. Doch anders als bei Spielern, die ihre Spielgeräusche gar nicht mehr wahrnehmen und kontrollieren können, hatte hier jeder im Saal Verständnis - mein Gegner und ich schmunzelten sogar mit -, denn jeder wusste ja, dass Peters Neckerei eine einmalige Sache bleiben würde.

Zum Spiel: Marianne wählte eine weißfeldrige Strategie 1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. c4 und Springer auf d5, was schnell zu einem Tausch mehrerer Leichtfiguren führte, da keiner Vorposten des anderen dulden wollte. Peter gewann Mariannes Bauern auf d5, Marianne seinen auf c7. Der Gegner baute sich dann mit einer Dreier-Schwerfiguren-Batterie auf der d-Linie auf, jedoch mit der Dame vorne weg, und Marianne wich geschickt jedem Tausch aus, was Peter offenbar entnervte, denn plötzlich schnappte sich Marianne mit der Dame seinen Bauern auf b5. Peter riss nun seine Königstellung mit f5-f4 und g5 auf, doch das nach einem Tausch entstandene Damenendspiel, in dem sie gute Chancen hatte und wegen Peters offener Königstellung kaum verlieren konnte, mochte Marianne nicht weiterspielen. Remis um 22.05 Uhr und neuer Spielstand 1,5 zu 3,5.

Es sah nun schlecht aus, da bei oberflächlicher Betrachtung Ole nur zwei Figuren für eine verlorene Dame hatte, und Liliane hatte einen Minusbauern. Sie war aus der Eröffnung mit einem Bauernzentrum e5/d5 gegen Sf3 und g3 hervorgegangen und hielt sich im Mittelspiel sehr gut gegen die über 300 Mehrpunkte. Durch einen objektiv nicht gerechtfertigten Königsangriff konnte ihr Gegner immer mehr Verwirrung stiften und hatte mehrmals Gewinnchancen. Liliana überstand jedoch alle Turbulenzen und hatte nach Figurentausch nahezu Gleichstand erreicht. Dann allerdings tauschte sie auf ein Bauernendspiel herunter, was glatt verloren war, wie sie auch sofort erkannte. 1,5 zu 4,5, der Mannschaftskampf war 22.10 Uhr bereits verloren, aber noch lange nicht beendet.

Zunächst hatte sich bei Ole der Wind gedreht. Zu seiner o. g. materiellen Unterlegenheit war es gekommen, als sein Gegner, etwa um 300 Punkte besser gelistet, es ausnutzen konnte, dass Oles Dame auf h5 verharrte und mit schwarzem Lg4 gefangen werden konnte. Bis dahin hatte Ole zielstrebig seine Stellung, die aus einem geschlossenen Sizilianer mit Lc4 heraus entstand, verbessern können und es geschafft, Felderschwächen um den schwarzen König herum, der nie mehr rochieren sollte, auszunutzen. Immerhin gewann er für die abhanden gekommene Dame zwei Figuren und einen Bauern. Sein Gegner wurde mit seinem nun gestarteten Königsangriff müde, obwohl er den hätte weiter voranbringen sollen. Er setzte stattdessen seine Hoffnung auf das Einsammeln von Bauern und seinen vorrückenden d-Bauern. Ole hatte jedoch einen h-Freibauern, welcher von Schwarz völlig unterschätzt wurde, obwohl Oles Läufer die Farbe des Umwandlungsfelds hatte und auch sein Springer in der Nähe von h8 war. Der Wandsbeker Spieler musste für ihn letztlich die Dame geben und Ole verwandelte seine materielle Überlegenheit cool: Er kümmerte sich konsequent um den gegnerischen Randbauern, dann um seinen eigenen zweiten Freibauern und achtete zunächst darauf, den gegnerischen König von diesem beharrlich abzudrängen, statt ihn überhastet loslaufen zu lassen. Verkürzung auf 2,5 zu 4,5.

Ich selbst hatte mich gegen Dr. Günter Strenzke mit g6, d6 und c5 gegen Colle verteidigt und es nach frühzeitigem Tausch auf d4 geschafft, die gewünschte Bauernmehrheit 4:3 auf dem Königsflügel mit e5 zu schaffen. Doch zu welchem Preis! Meine Springer waren auf d7 und c6 verknotet, damit e5 ausreichend gedeckt war. Ich zog nicht schnell genug Sd7-c5. Denn ich war mir einfach im Unklaren, wie ich die Deckungsarbeit auf Te8 und die Springer verteilen sollte. Da ich zwecks Verhinderung von b4 und Vorbereitung von Sc5 ganz schlecht a5 zog, wodurch b5 sofort zum Einfalltor für den Sa3 wurde, wurde auch d6 schnell schwach, seine Dame konnte eindringen, Günter gewann nach einem (unnötigen) Damentausch, der sein Angriffspotential gegen meine inzwischen mit f5 geöffnete Königstellung schwächte, meinen Hoffnungsträger auf e5. Er tauschte weiter seinen mächtigen Springer gegen meinen völlig gelähmten Läufer ab. Generell sind viele Tauschaktionen ein Fehler, wenn man eine Druckstellung hat und nicht die nach dem Tausch entstehenden Stellungen ausgiebig geprüft werden. Zwar ändert sich logischerweise durch einen Tausch nie die Materialverteilung, aber aus einer gedrückten Stellung des Unterlegenen kann eine befreite werden. Dann bleibt zwar der Minusbauer, aber die Remischance steigt. Auch für einen Spieler, der wie ich hier knapp zweihundert DWZ weniger hat als der Tauschende. Allerdings behielt Günter seinen verbleibenden Turm aktiv und zwang mir schließlich einen Tausch auch dieses Turms auf. Das war, abstrakt-theoretisch gesehen, das Ende für mich, denn er hatte nun Läufer gegen Springer bei einem Plusbauern. Doch immerhin standen meine Bauern auf der richtigen Feldfarbe. Nun gab es wieder eine Tauschaktion, bis es zu dieser Stellung kam:

Diagramm

Die Chance, mit dem König zur h-Linie zu laufen, nahm ich war und schlug mit meinen Springer den vom König gedeckten Bauern b5. Das Angebot meinen Springer auf b5 zu nehmen, nahm Günter allerdings nicht an. Denn dann wäre ich als erster über c7, d8 und e7 im Umwandlungsfeld angekommen und hätte mich selbst zwecks Patt einsperren lassen. Sein Läufer hatte ja die falsche Farbe, nämlich nicht die des Umwandlungsfelds.

Günter dachte sich nun wohl, wenn er meinen Springer weiter leben ließe, käme er mit seinem König schneller als meiner zur h-Linie (was auch stimmte) und werde meinen Springer schon irgendwie gewinnbringend abschneiden (was nicht stimmte, denn sein Läufer konnte nicht gleichzeitig meinen Springer dominieren und meinen König von g8 und g7 absperren (siehe Diagramm unten):

Diagramm

Mein König hat einen wichtigen Patz auf f8 erreicht. Sein König muss zwar gar nicht auf die h-Linie, solange sein Läufer mich von g8 und h7 absperrt. Er muss sich also dank seines Läufers nicht in Einsperrgefahren begeben. Doch wenn sein Bauer dies ausnutzen möchte und frei von allen Zwängen vorrückt, läuft er große Gefahr von meinem am Leben gelassenen Springer geschlagen zu werden. Der lässt sich zwar von einem nach g5 gehenden weißen König abdrängen, aber nur auf das dunkle Feld f6, wo er sich vor Läufer-Attacken schützen kann und dennoch seinen h-Bauern im Visier hat. Außerdem: Wenn sein König auf g5 meinem Springer lästig wird, kann ich mit meinem König auch einfach nach g7 und dann nach h8 gehen, wo er nicht mehr vertrieben werden kann und dem weißen Bauern im Weg steht (Selbsteinsperr-Pattmotiv, siehe oben). Den Springer könnte ich also auch einfach seinem König überlassen.

Ich zog nun immer hektischer, hatte nur noch ein paar Minuten und längst Wilhelm ums Mitschreiben gebeten, zudem hatte sich ein Dauerräusperer zu meinem Tisch hinzugesellt, was nicht gerade beruhigend wirkte. (Es gab sogar noch einen Fast-Konflikt, als eine Bitte um „Ruhe“ - nicht meine übrigens, es wurde 23.00 Uhr noch an zwei Brettern gespielt - vom quasselnden Störer frech abschlägig beschieden wurde. Das veranlasste die Antwort „Halt die Schnauze!“, worauf wiederum ein drohendes „Wie bitte?!!“) zu vernehmen war. Weiß zog allerdings trotz großer Zeitreserve auch hektisch und lief in eine Springergabel auf f6 (gegen Bh5 und Kh7), was um 23.15 Uhr zum schnelleren Spielende durch Remis-Angebot von Weiß führte.

3:5 also, HSK 29 hat nicht ganz so knapp wie sonst verloren, aber der Gegner war dafür auch nominell noch stärker als die vorherigen.



Dr. Dieter Floren

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