Niederlage im letzten Spiel des HSK 29

Heute hätte es wieder eine knappe (die vierte) 3,5-4,5-Niederlage unserer (ersatzgeschwächten, denn Brett 5 fehlte, Dietrich sprang an Brett 8 ein) Mannschaft gegen einen übermächtigen Gegner werden können, doch das habe ich diesmal sehr früh durch erstaunliche Unkonzentriertheit schon bei Spielbeginn verhindert. Im neunten Zug kam es zu folgender Stellung aus dem Max-Lange-Angriff, also aus einer Eröffnung, in der Schwarz im Schottischen Gambit-Angebot (4. Lc4 statt 4. Sxd4 nach 3. … exd4) nicht das nach Ansicht von L´Ami in seiner neuesten DVD zu Gambits zum Remis ausdiskutierte und daher mir heute zu langweilige 4. … Sxe4 spielt, sondern 4. …Lc5. Mein Gegner war in etwa gleich stark gelistet (etwa 50 Punkte hinter mir), warum also nicht?

Diagramm

Mein Gegner spielte also im achten Zug Te1 + und nach meinem 8. … Le6 das übliche 9. Sg5 (siehe Diagramm). „Üblich“ aber wohl nicht für mich in dieser Situation etwa gegen 19.15 Uhr: Vielmehr ging ich unbekümmert davon aus, dass er von fxg7, worauf Tg8 (dann aber sowieso Sg5!) und Dd5 nebst Df5 folgen zu seinem Nachteil abgewichen sei. War er aber nicht, er hatte sehr wohl den Hauptzug gespielt. Ich musste also jetzt sofort Dd5 und dann nach Sc3 wiederum Df5 antworten! Diese einzigen schwarzen Züge kannte ich auch von der o. g. DVD und einem Buch von Emms, sonst hätte ich mich nie mit Schwarz darauf eingelassen. Doch jetzt, nach dem angeblichen Abweichen, wollte ich ihn mit Dxf6 und dem zweiten Bauern „bestrafen“ und verlor nach 10. Sxe6, 10. … fxe6 und 11. Dh5 + folgerichtig meinen Läufer auf c5. Ihm diese Figur für zwei Bauern zu schenken, war mir in meinem Ärger über die verlorene so wichtigen Angriffsfigur aber nicht genug: Warum nicht mal richtig großzügig sein und auch meine Dame mit 11. … Dg6, gefolgt von seinem 12. Txe6 +, als Zugabe loswerden? So spielte ich dann auch.

Nach meiner somit unvermeidlichen Aufgabe um 19.30 Uhr traute ich mich weder aufzustehen, noch sitzenzubleiben. Es ist schon nicht so ohne, in einem Mannschaftskampf zu verlieren, zumal am ersten Brett und mit so viel Leichtsinn. Aber so früh??? Wie grausam war das? Und in der letzten Runde? Am liebsten wäre ich jetzt woanders gewesen. Doch Teammitgliedern die Leitung für den ganzen Abend übertragen, während ich eine Extra-Portion Zeit dafür hätte? Das kam natürlich nicht ernsthaft in Betracht. Also Dieter: Aufgepasst, was an den anderen Brettern passierte, damit deine Anwesenheit noch einen kleinen Nutzen hat.

Georg ließ sich an Brett 2 durch meine frühe Geberlaune inspirieren. Zeitig hatte er im Londoner System einen Springer als Vorposten auf e5 aufgestellt, Schwarz aber auch seinen auf e4. Als Georg seinen Springer auf das nicht so verlockende Feld d3 zurückzog und dieser sich sogleich über das ihn bedrängende schwarze c5-c4 beschwerte, legte Georg dem armen Pferd nahe, zu schweigen, und tat sich erstmal mit seinem Läufer auf f4 am schwarzen (durch die d8-Dame gedeckten) Ld6 gütlich. Doch bei solchen Tauschaktionen sollte man immer aufpassen, wer schlägt (nur Bauer oder eine höherwertige Figur, die ja wieder geschlagen werden kann?) und wie sich der schlagende Stein evtl. weiter durchfressen kann. Denn Georgs Springer war durch die Dame auf c2 gedeckt, also das potenzielle nächste Opfer des hungrigen c4-Bauern. Sein Gegner musste also nicht auf d6 Georgs Läufer nehmen, die Materialbilanz war schon jetzt vorteilhaft für ihn. Georg trieb nun nach seiner sofortigen Aufgabe die gleiche Pein des frühen Spielverlustes wie mich, und er konnte es sich – anders als ich – auch erlauben, vom Ort der Qual zu fliehen. Er schreibt dazu: „Zu meinem frühen Aus muss ich gestehen, dass ich die ganze Abwicklung, beginnend mit Se5-Sd3, bewusst vom Zaun gebrochen habe. Ich habe alle Züge exakt voraus gesehen, aber falsch gezählt. Am Ende des Abtauschs wähnte ich allen Ernstes, einen Bauern gewonnen zu haben. Erst als mein Gegner mit der linken Hand mit drei weißen Leichtfiguren spielte, vermisste ich meine dritte schwarze eroberte Leichtfigur und suchte sie hinter dem Figurenkasten. Ich fand sie dort jedoch nicht, denn sie stand noch unbedroht auf dem Spielfeld.

Da glaubte ich, dieser junge schöne Sommerabend habe etwas Besseres verdient als meine erfolglosen Bemühungen um das Schach und schlich gefrustet davon.“

Also 0:2 gegen uns. Inzwischen hatte sich auch Wilhelms Spiel zu seinen Ungunsten gewendet. Den weißen Königsindisch-Aufbau im Anzuge hatte er schnell mit e5 beantwortet, womit jegliche Unannehmlichkeiten durch weißes e5 verhindert waren. Es gelang Wilhelm auch schnell, den weißen Fianchetto-Läufer auf g2 abzutauschen, seine Stellung war leichter zu spielen, der Computer sieht das auch so. Doch dann zog Wilhelm seinen f6-Springer plötzlich ohne erkennbaren Grund nach h7. Damit lud er Weiß zu Sd5 ein. Nun drohte, wie mir als Kiebitz auffiel, Se7+ mit Damengewinn. Würde Wilhelm das sehen oder ähnlich freigiebig wie ich mit der Dame umgehen? Er entschied sich für Letzteres. Immerhin hätte er noch vor dem Wiederschlagen des die Dame beseitigenden Springers mit einem Zwischenschach noch auf f4 den weißen Turm nehmen können, aber meine „Schnell“-Partie büßte auch hier nichts von ihrer Vorbildwirkung ein: Warum kleinlich sein? Springer für die Dame oder Turm für die Dame, verloren ist das Spiel ja sowieso. Und wenige Züge später war es dann amtlich: 0:3.

Marianne zeigte sich an Brett 4 konzentrierter als die ersten drei Bretter und auch weniger spendabel. Mit Weiß folgte sie ihrem c4/e4 -Aufbauschema, was ihrem Springer oft schnell einen Stützpunkt auf d5 verschafft, Schwarz aber auch einen auf d4. Ihr Gegner machte von Letzterem nicht Gebrauch und ließ Marianne Raum gewinnen. Allerdings tauschte Marianne dann schnell ihren d5-Springer auf f6 ab und verlor dadurch ihren Vorteil gänzlich. Denn Schwarz hatte seinen Läufer auf seinen Posten f6 hin befreit und damit erstmal jegliche weißen Durchbrüche verhindert. Das blieb auch nach Abtauschaktionen auf d4 so. Marianne fragte, ob sie Remis machen oder den Verlust riskieren solle. Da Ole in Mattgefahren war und abzusehen war, dass er viel Material verlieren würde, sagte ich, es sei egal, was sie tue. Nach nicht einmal zwei Stunden stand es ½ zu 3 ½ gegen uns. Die ersten vier Bretter waren verwaist. Ohne Nachbarn zu stören, konnte ich sie abräumen und damit jegliches Symbol der Schmach, die mit dem Spiel der ersten Teamhälfte über uns gekommen war, evtl. Zuschauerneugier entreißen.

Nun passierte erst einmal über ein, zwei Stunden lang nichts mehr. Ole hatte mit Schwarz gegen Englisch (c4 e5) seinen fast mit a2-a3 und b2-b4 eingesperrten c5-Läufer auf d4 geben müssen und dann, weil er nach einen weißen Bauern auf c6 nicht mit seinem Springer, sondern mit seinem Bauern wiedernahm, den d4-Bauern verloren. Doch sein Gegner übersah eine schwarze Springergabel (Dame und Turm) auf e3 und war dadurch mit einer Qualität im Nachteil. Ole ließ es nun allerdings zu, dass der gegnerische Bauer unbeschadet bis auf f6 vorrückte. Mit eigenem g6 machte er diesen sogar nahezu unangreifbar. Das seine Königsstellung weiter auflockernde g5 war zwar theoretisch kein Fehler, doch konnte Ole dann seine Stellung nur noch halten, wenn er in der folgenden Diagrammstellung gegen das drohende Dh5

Diagramm

sofort De8 (nach Dh5 drohend De3 + mit Deckung des Bauern auf h6 nach g5-g4), spielte. Jeder andere Zug ließ den Verlust des h6-Bauern (Kh7 ging wegen Le4 + nicht) mit Matt oder Damenverlust zu. Genau das passierte nach Tb3. Oles Gegner ließ nun korrekterweise Oles Txc3 zu und zog besagtes Dh5. Ole verlor seine Dame, die sich nun ja auf f6 opfern musste, und gab wenig später auf. Das war es mit der Hoffnung auf einen Überraschungsmannschaftspunkt: ½ zu 4 ½ gegen uns, wir hatten schon verloren.

Unser erster Lichtblick war Liliana: Wieder ein Damengewinn, diesmal jedoch zu unseren Gunsten. Sie hatte mit einem Läuferspieß die Diagonale König/Dame ausgenutzt und den Gewinn souverän nach Hause gebracht. Leider kann ich zu diesem Spiel nicht mehr als dieses eine einzige Detail berichten. 1 ½ - 4 ½.

Dietrich spielte immer noch. Er hielt seine Stellung zäh und ruhig. Etwas zu ruhig, er vergaß nie seine Uhr, schaute aber nicht auf deren Zifferblatt. Das zeigte besorgniserregende 10 Minuten für 20 Züge an, und es wurde nicht besser, im Gegenteil. Nach Qualitätsverlust (leider fehlt mir auch hier die Partienotation, dabei war ich stolz darauf, ganz unten im Schrank die etwas versteckt liegenden Partieformulare mit gelben Durchschlägen für uns gefunden zu haben, aber nicht jeder möchte den Wink mit dem Zaunpfahl erkennen) wurde es zeitlich immer knapper. Als Zuschauer hätte man fast meinen können, dass hier das Motto Trumpf war: Besser in Würde nach Zeit verlieren, als sich in vielleicht albern wirkender Hektik und aggressivem Uhrenknopfschlagen retten zu wollen. Ganz überrascht, aber weiterhin angenehm gelassen nahm Dietrich ein paar Züge vor der Zeitkontrolle von seinem ihn aufklärenden Gegner zur Kenntnis, dass es mit seinem Zeitkontingent aus war. 1 ½ zu 5 ½.

An Brett 6 kämpfte Andreas noch gegen seinen in der DWZ-Wertung ca. 80 Punkte vor ihm liegenden Gegner um einen weiteren Ehrenpunkt. Es war das spannendste, abwechslungsreichste und lehrreichste Spiel an diesem Spieltag. Und es sollte erst 23.25 Uhr beendet sein. Schon im vierten Zug hätte Andreas, so wie im Zweispringerspiel mit zu spätem Lc5 üblich, mit Sg5 seinen Gegner zu d5 nötigen und ihm damit erst einmal einen Bauern abnehmen können. Wenig später riskierte Schwarz mit einem zu gewagten Vorstoß erneut einen Bauern, diesmal den auf b4, den Andreas sich diesmal auch richtigerweise mit seinem Springer auf a2 einverleibte, der nun wieder besser stand. Der nächste kritische Moment wurde im 27. Zug erreicht: Andreas schlug auf e5, begab sich damit jedoch mit seiner Dame in einer Läufer-Fesselung, die der Gegner durch erneuten Angriff auf e5 hätte ausnutzen können, was er nicht tat. Gleichwohl blieb Andreas´ Stellung besser, bis er im 37. Zug einen Bauern verlor, nein, nur: hätte verlieren müssen. Im folgenden Diagramm sieht man,

Diagramm

dass Schwarz mit der Dame auf c5 hätte wieder nehmen müssen. Er tat das jedoch mit dem Turm. Zwei Züge später nahm sein Gegner den weißen Bauern auf b3,

Diagramm

worauf Andreas, inzwischen mit der Zeit knapp geworden, mit dem Schlagen des Läufers mit seiner Dame hätte antworten können. Schwarz kann zwar den Turm auf d4 nehmen, verliert aber auch seinen eigenen auf c8 dabei wegen Db7+. Danach verlief Andreas´ Spiel nahezu fehlerfrei: Nach und vor der Zeitkontrolle fand er, durch Spieldauer und die Zeitnot offenbar wenig beeindruckt, immer den besten Zug. Mit einer Ausnahme (siehe Folge-Diagramme):

Diagramm

Hier hätte zunächst sein Gegner nicht den nach d7 vorgerückten Bauern schlagen, sondern sich um seine eigenen Bauern mit Kf5 kümmern müssen, der d7-Bauer war eh ein Todes- bzw. Austauschkandidat. Dann im Folgediagramm und nicht einfach zu finden,

Diagramm

wäre das angebracht gewesen, was Carlsen jüngst in ähnlicher Situation in der ersten der WM-Tie-Break-Partien gegen Caruana gespielt hatte: Mit Tg6 (!) den h5-Bauern langsam, aber sicher von der Deckung durch seinen Turm mit späterem Tg5 abschneiden. Schwarz muss ja auf h4 nehmen, will er keinen weiteren Bauern verlieren. Das Nehmen mit dem weißen h4-Bauern auf g5 verschafft hingegen nur Schwarz ein Tempo. Letztlich entstand die im Folgenden abgebildete Remis-Stellung, in welcher der Gegner noch die Möglichkeit hatte, mit einem Königszug auf die falsche Felderfarbe und damit der Aufgabe der Opposition und der Ermöglichung des Zutritts des Königs zu einem der drei Felder vor seinem Bauern noch zu verlieren.

Diagramm

Seht ihr diese Spielmöglichkeit? Genau die wählte Schwarz (Kg7) und ließ damit weißes Kg5 und letztlich die Damenumwandlung zu. 2 ½ zu 5 ½. Wenn Pinneberg verliert, bleiben wir Vorletzter. Aber nur dann. Königsspringer 7 hat der Sieg nichts genützt, sie bleiben Dritter und steigen nicht auf.

[Epilog: Neben den Graffenbergers war nur noch ich als Zuschauer von HSK 29 anwesend. Nach Andreas´ letztem Zug rannte ich zur U-Bahn (23.34 Uhr) - und vergaß meine Spielberichtskarte. Noch gegen Mitternacht mailte ich, um das sonst fällige Bußgeld für den HSK zu vermeiden (ich konnte ja online mangels Erinnerung nicht die einzelnen Spieler des Gegners in der Maske des Schachverbands eintragen), Christian Zickelbein, der alle Spielmeldungen, auch die vom Gegner, wie heute von Königsspringer, per Mail bezieht, durch Bestätigungsabfrage bei Andreas (01.13 Uhr!) das Ergebnis nachzumelden. Ich selbst wollte am nächsten Morgen unterwegs in den Pfingst-Urlaub. Andreas, ebenfalls unterwegs, bestätigte 02:46 Uhr (!) und Christian kündigte 06:28 Uhr (!) die Nachmeldung an.) Das ist Teamarbeit in der Mannschaft und im Verein, die vor nötigem Schlaf keinen Halt macht.]



Dr. Dieter Floren

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