Heiße und kalte Duschen in der B1
Da ich als Hobbyschachspieler angetreten
war (in den letzten Jahren bin ich zum passionierten Bridgespieler geworden), rechnete ich
mir in diesem Turnier nicht viel aus. In den ersten drei Runden dieses Turniers, wusste
ich nicht, was mit mir geschah. Irgendetwas musste ich wohl an mir haben. War es der
hypnotische Blick oder waren es meine ersten grauen Haare, die meine Gegner dazu bewogen,
jeweils einen entscheidenden Patzer zu machen? In jeder dieser ersten drei Spiele stand
ich zunächst höchstens ausgeglichen oder schlechter, bevor mir die vorweihnachtlichen
Geschenke zuteil wurden. Damit führte ich mit 3 aus 3 plötzlich allein, und das sogar
mit einem ganzen Punkt Abstand. In der vierten Runde schien dann Caissa als
Friedensgöttin eine Waffenruhe veranlasst zu haben, denn hier endeten alle Partien
unentschieden. In der fünften Runde trat ich gegen meinen Arbeitskollegen vom
Billstedt Center Mirco Wendriner an. Nach drei Siegen gegen ELO-Zahl-Träger, mit
einer um mindestens 100 Punkte höheren Zahl als ich hatte ich diesen Punkt schon im
Geiste sicher verbucht. Schon vor Beginn des Klubturniers hatte ich mir nur Chancen
ausgerechnet diese Klasse zu halten, wenn ich gegen ihn gewinnen würde. Ich kam jedoch
schlecht aus der Eröffnung raus, und erst nach langem Kampf und ungenauen Zügen von
Mirco war diese Partie schließlich unentschieden. Die sechste Runde gestaltete sich
ähnlich wie die fünfte. Ich kam zwar nicht in einen vielleicht spielentscheidenden
Nachteil, konnte aber gegen Mikhail Borchtchevski keine vorteilhafte Stellung erringen,
und so plätscherte die Partie dahin und ging ebenfalls nur Unentschieden aus.
Meine Zwischenbilanz lautete also zu diesem Zeitpunkt: dreimal hintereinander mit Glück
gewonnen, dreimal hintereinander unentschieden, und die wirklich schweren Gegner kamen
noch. Sollte ich etwa die letzten drei Runden hintereinander verlieren?
Theo Gollasch unser ELO Schwergewicht in der Gruppe trat nun in der siebten
Runde gegen mich an. Nachdem ich die Eröffnung heil überstanden hatte, bot ich ihm im
19. Zug remis an. Fritz sagt zu dieser Stellung: -0,65, wenn Theo meinen Läufer auf g2
schlägt, was er auch tat und damit mein großzügiges Angebot ablehnte. Im
21. Zug hatte er seinen Vorteil dann schon verspielt, denn nun meinte Fritz, ich stehe
ausgeglichen (+0,03). Theo ließ einen zusammenhängenden gedeckten Freibauern auf c5 zu,
und nun hätte Fritz gerne meine Stellung zu Ende gespielt. Bis zum 36. Zug schwankte die
Bewertung immer zwischen +0,65 und +0,90. Deshalb war es jetzt an ihm, mir zu diesem
Zeitpunkt remis anzubieten. Ich sah mich jedoch die Partie schon gewinnen, so dass ich
nicht annehmen konnte. Drei Züge später zeigt mir Fritz an, dass sie nur noch
unentschieden war (0,00). Auch ich sehe in dieser Stellung keine Gewinnmöglichkeit mehr.
Ich mache meinen Zug (ein katastrophaler Fehler, der einen Turm einstellt), und biete
remis an. Mir läuft es in den nächsten Minuten heiß und kalt den Rücken runter.
Nachdem ich die Figur losgelassen habe, sehe ich sofort den Verlust, aber Theo ist wohl im
Geiste bei seinen noch nicht korrigierten Klassenarbeiten und macht nur den zweitbesten
Zug. Ich stand allerdings auch dann schlecht genug, musste mich aber noch weitere 20 Züge
quälen, bis ich endlich ruhigen Gewissens aufgeben konnte. Was für ein Ärger, hatte ich
doch schon ein Remis sicher gehabt! Sollten jetzt tatsächlich drei Niederlagen en
suite folgen? Gegen Bernhard Jürgens habe ich dann in der achten Runde ein Remis
klammern können. Er bot es an, und ich habe es sofort angenommen, obwohl ich zu diesem
Zeitpunkt besser stand. So etwas wie gegen Theo sollte mir nicht noch einmal passieren.
Die letzte Runde war dann gegen den späteren Turniersieger Hans-Jürgen Schulz
auszufechten. Wir sind beide Anhänger von wild romantischen Partien, so dass die Partie
zum Schlachtfeld wurde. Leider spielte ich ein wenig ungenau, so dass die Partie den
Bach runter ging. Den Kampf der beiden alten Schlachtrösser will ich
den Lesern nicht vorenthalten.
Partie (pdf-Format)
Zwischenzeitlich sah es so aus, dass unsere Gruppe nicht pünktlich zur Weihnachtsfeier fertig würde. Aber dank der Disziplin aller zehn Spieler gab es keine kampflosen Punkte bei uns, und das Endergebnis stand vor unserer Weihnachtsfeier fest.
Holger Winterstein