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DVM U20

Wie kann man ein Jahr schöner abschließen als mit einem Erfolg im Schach? Nun, da gibt es vermutlich viele Möglichkeiten. Jedenfalls spielte ich das dritte Mal nach 2007 und 2009 die Deutschen Vereinsmeisterschaften U20, die alljährlich genau zwischen Weihnachten und Silvester gequetscht werden. Am 26. Dezember ging es also los, gen Osnabrück. Mein Team vom Hamburger Schachklub bestand aus sechs Leuten plus dem erfahrenen Coach Merijn van Delft. Die letzten Male hatte ich noch mit den beiden Bracker-Brüdern gespielt, die aber nun zu alt waren. Stattdessen wurden zwei Starspieler aus Leipzig verpflichtet, Felix Meißner und Paul Doberitz. (die beide nach einem FSJ beim HSK bzw. bei den Schachelschweinen zum Studium in Lüneburg bzw. in Hamburg geblieben sind / Anm. Red.) Zusammen mit Malte Colpe, Jan Hinrichs und Julian Grötzbach eine gute Truppe.

 

Blick in den Turniersaal         

 

Brett 1 und 2, Niclas Huschenbeth, Felix Meißner

 

Auf dem Blatt waren wir ziemlich hoher Favorit, aber man soll ja das Fell nicht verteilen, bevor der Bär erlegt ist. Übrigens ein Zitat von Paul, der an Brett 3 mit 6½/7 Punkten eine recht solide Vorstellung ablieferte. In dem Ibis-Hotel Osnabrück teilte ich mir ein Zimmer mit Merijn und Felix, mit dem ich in einem Ehebett schlief. Felix hoffte insgeheim, dass dadurch ein wenig Elo von mir auf ihn abfärben würde, aber irgendwas muss schief gelaufen sein. Denn ein wenig mehr als 50% hatte ich von meinem Brett 2 schon erwartet. Wie dem auch sei, mit seinen Bemerkungen und Geschichten sorgte er für einen konstant hohen Lachpegel, was ja auch nicht ganz unwichtig ist.

Kommen wir mal zum Turnier: Am ersten Tag konnten wir uns zweimal recht klar mit 5:1 durchsetzen, ich musste allerdings schon Federn lassen. Gegen Aleksey Savchenko und sein Russisch kam ich nicht über ein Remis hinaus. Übrigens nicht gerade mein Lieblingsgegner; aus drei Partien gegen ihn konnte ich noch nie einen vollen Punkt holen.

Am nächsten Tag spielten wir gegen unsere stärksten Konkurrenten, erst den SK Bebenhausen und anschließend die SG Bochum. Beide konnten wir mit 4½:1½ in die Schranken weisen, wobei mir im zweiten Match eine ganz nette Partie gelang.

 

Huschenbeth,Niclas (2518) - Tkachuk,Konstantyn (2210) [B76]

DVM U20 Osnabrück (4), 28.12.2011 [Huschenbeth]

 

Der Spitzenkampf gegen die SG Bochum, der seit Jahren unser ärgster Konkurrent im Kampf um den Titel ist. 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 g6 6.Le3 Lg7 Der klassische Drache soll es also sein. Merijn erzählte mir übrigens, der Name der Eröffnung rühre daher, dass manche in der Bauernstruktur d6, e7, f7, g6, h7 einen chinesischen Drachen sehen. Ganz witzig, wusste ich auch noch nicht. 7.f3 Prophylaxe gegen Sg4 7...0–0 8.Dd2 Sc6 9.g4!? Eine interessante Variante neben den großen Brüdern 9.Lc4 und 9.0–0–0, die ich als kleine Überraschung vorbereitet hatte. Leider nicht völlig unbekannt für meinen Gegner, da er sie schon ein paar mal auf dem Brett hatte, aber trotzdem nützlich, da ich so eventuell seiner Vorbereitung auswich. 9...Sxd4 Hier gibt es gefühlte tausend Möglichkeiten für Schwarz und ich maße mir an zu behaupten, dass Sxd4 nicht die beste ist. Das direkte Le6 scheint am solidesten, da es sich alle Möglichkeiten offen hält. [9...Le6 10.Sxe6 Läuferpaar ergattern und schwarze Bauernstruktur schwächen, das muss ja gut sein, könnte man meinen. Als Gegenwert erhält Schwarz die halboffene f-Linie und die Doppelbauern im Zentrum sind auch ziemlich nützlich. 10...fxe6 11.0–0–0 Se5 12.Le2 und nun hat sich Dc8 als der Zug herauskristallisiert, mit dem Schwarz gute Chancen auf Ausgleich erhält.] 10.Lxd4 Le6 11.h4! Weiß hält die Rochade zurück und bläst direkt zum Königsangriff. 11...Da5 12.h5 Tfc8 So weit, so gut. In einer früheren Partie hatte mein Gegner hier Tac8 gespielt, aber es ergibt natürlich deutlich mehr Sinn, den anderen Turm nach c8 zu stellen. Zum einen hat Schwarz schon mal das Fluchtfeld f8 für den König, und zum anderen kann sich der andere Turm nach b8 stellen, wie auch in der Partie geschehen. 13.a3 Falls Weiß doch irgendwann Lust bekommt zu rochieren, sollte der Bauer auf a2 nicht hängen. 13...Tab8

 

 

Hier musste ich zum ersten Mal eigenständig denken. Mir hatte der gesamte Stellungstyp schon in der Vorbereitung nicht richtig gefallen, aber es war nicht genügend Zeit, nach etwas anderem zu schauen. Ein weißer Mattangriff ist weit und breit nicht in Sicht, der schwarze Monsterläufer auf g7 verteidigt alles und falls g5, verstopft Sh5 den Angriff. Deshalb entschloss ich mich, positionell zu spielen. [13...b5 14.h6 (14.Sxb5 empfiehlt sich nicht wegen 14...Dxd2+ 15.Kxd2 a6 16.Sc3 Sxe4+!) 14...Lh8 15.g5 b4 16.Sb5 Se8 17.Lxh8 Kxh8 18.Tb1! mit den besseren Chancen für Weiß.] 14.h6!? [14.hxg6 hxg6 15.Dh2 b5 16.b4 Dc7 17.Sxb5 ist die Empfehlung des Zauberers Houdini. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich hier wohlfühlen würde ... 17...Dd7 18.Sxa7 Tc7 19.e5! klarer Vorteil Weiß] 14...Lh8 15.g5 Se8 Logisch, hier überdeckt der Springer das vakante Feld g7 nochmal. Allerdings steht er ein wenig perspektivlos auf e8 rum. [15...Sd7 16.f4 a6 17.Lxh8 Kxh8 18.0–0–0²; 15...Sh5 sieht zwar seltsam aus, aber manchmal kann der Springer unangenehm auf g3 auftauchen. 16.Lxh8 Kxh8 17.0–0–0 Kg8 18.Kb1 mit fast ausgeglichener Stellung. Schwarz hat seine Ideen mit b5-b4 oder Txc3, während Weiß über f4 oder auch Txh5 nachdenken kann.] 16.Lxh8 Kxh8 17.Lb5!? Grade schreib ich noch, der Springer steht perspektivlos auf e8 rum, und jetzt benutze ich zwei Züge um ihn abzutauschen. Nun, man sagt nicht umsonst, der Springer ist der beste Freund des Königs. Nach dem Tausch muss Schwarz immer auf die lange Diagonale Acht geben. [17.0–0–0 b5 18.Sd5 Dxd2+ 19.Txd2 Lxd5 20.exd5 sieht für mich nur nach optischem Vorteil aus.] 17...Kg8! Früher oder später muss Schwarz diesen Zug sowieso spielen, also warum nicht jetzt. [17...Txc3? 18.Dxc3+ mit Schach!; 17...Sc7 18.Le2 und die schwarzen Figuren stehen irgendwie blöd. 18...b5? scheitert an 19.Dd4+] 18.Lxe8 Txe8 19.0–0–0 [19.f4!? droht vernichtend Dd4 19...Dc5 20.0–0–0 b5 21.Dd4 Dxd4 22.Txd4 mit einem leicht besseren Endspiel.] 19...Tec8

 

 

Ursprünglich hatte ich hier Dd4 geplant oder f4 gefolgt von Dd4. Doch mit Schrecken musste ich erkennen, dass beide Züge nicht gerade das Gelbe vom Ei sind. Aber dann kam mir ein Zug in den Sinn, dem ich hier ganz bescheiden zwei Ausrufezeichen geben möchte. 20.The1!! Vermutlich der beste Zug, den ich im Turnier gespielt habe. Dahinter steht eine starke prophylaktische Idee, nämlich die Verhinderung von Tc4. Was dann passiert, sehen wir in der Partie. [20.Dd4 Dxg5+ verdammt, mit Schach! 21.Kb1 De5µ; 20.f4 Tc4 Und Weiß wird nicht mehr zu Dd4 kommen.] 20...Tc4? [20...Kf8!! Das Pendant zu The1, Schwarz bringt den König vorsorglich für ein mögliches Endspiel Richtung Zentrum. 21.Kb1 (21.f4 Tc4 22.e5 d5 23.Sxd5 Dxd5 24.Dxd5 Lxd5 25.Txd5 Txf4 26.Ted1 und jetzt ist es ziemlich hilfreich, dass der König auf f8 und nicht auf g8 steht. 26...Ke8=) 21...Dc5 22.Sd5 b5 23.Te3 Lxd5 24.exd5 mit der angenehmeren Stellung für Weiß.] 21.e5! Der springende Punkt. Durch das Verschwinden des Turmes von der Grundlinie ist dieser Vorstoß taktisch gerechtfertigt. 21...dxe5?! [21...Tbc8 22.exd6 Txc3 23.Kb1!! Noch so ein Monsterzug, den ich aber nicht gesehen hatte. (23.Dd4 war mein Plan, was auch gut ist, aber nicht so gut wie Kb1. 23...Dxg5+ (23...Txc2+ 24.Kb1 f6 25.dxe7 führt zu keinem guten Ende für Schwarz.) 24.Kb1 Dxh6 25.dxe7 Txf3 26.Dd8+ Txd8 27.Txd8+ Kg7 28.e8D und der schwarze König muss ins Freie, aber eine direkte Erlegung ist nicht in Sicht.) 23...Dc5 (23...exd6 24.Dd4; 23...Txa3 24.Dxa5 Txa5 25.dxe7 Te8 26.Td8+-) 24.dxe7 Dxe7 25.Dd4 Df8 26.bxc3 mit klarer Gewinnstellung; 21...b5 ist zu langsam. 22.exd6 b4 23.dxe7 bxc3 24.Dd8+ und matt; 21...Tc6! war am verhältnismäßig besten 22.exd6 Txd6 23.De3 aber nachdem sich die Stellung nun geöffnet hat, kann Weiß früher oder später die unsichere schwarze Königsstellung ausnutzen.] 22.Txe5 Dc7

 

 

[22...Dxe5 23.Dd8+ Txd8 24.Txd8#; 22...Db6 23.Tb5 Dc7 24.Txb7! auch ganz nett.] 23.Te4?! Der Abtausch des aktiven Turms auf c4 drängt sich auf, aber es gab noch einen stärkeren Zug. [23.Sd5! hatte ich verworfen wegen Txc2+. Zu Unrecht! 23...Lxd5 (23...Txc2+ 24.Dxc2 Dxe5 25.f4! und Schluss, die Dame hat kein vernünftiges Feld; 23...Dxe5 24.Sf6+ exf6 25.Dd8+ Txd8 26.Txd8#) 24.Txd5 Tf8 25.Td7 und Weiß dominiert.] 23...Tf8! 24.Txc4 Dxc4?? Jetzt ist es direkt hinüber, denn Schwarz verliert den lebenswichtigen e7-Bauern. [24...Lxc4 25.Dd4 f6 (25...e5 26.Dd7 Dxd7 27.Txd7 Tb8 28.Se4 mit kompletter weißer Domination.) 26.Dxa7 (aber nicht 26.Se4 Le2!) 26...fxg5 27.Dd4 e5 28.De3 mit klarem weißen Vorteil.] 25.Dd8! Mal wieder muss das Grundreihenmotiv herhalten. 25...Df4+ 26.Kb1 f6 [26...Db8 27.Dxe7 De5 28.Sd5! und finito.] 27.Dxe7 Lf7 28.Td8 1–0

 

Nun lag der letzte Prüfstein auf unserem Weg, das Derby gegen den Königsspringer SC. Felix sicherte uns wieder mal mit Weiß und 200 Elo mehr den ersten halben Punkt, wofür wir alle sehr dankbar waren. O-Ton „Man braucht einfach Spieler, auf die man sich verlassen kann und von denen man weiß, was man bekommt.“ Zum Glück hatten wir auch Spieler, auf die man sich punktemäßig noch mehr verlassen konnte, z.B. Julian. Bei einem Score von 7/7 ließ er keine Wünsche offen. Weitere volle Punkte zum 4½-1½ Endstand konnten Paul und meine Wenigkeit beisteuern. Nun trennte uns noch ein Sieg vom vorzeitigen Meistertitel und der schien gegen den Heilbronner SV auch im Bereich des Möglichen. Tatsächlich brachten wir ein weiteres 4½-1½ zustande, das vierte in Folge. Mit 12:0 Mannschaftspunkten waren wir damit deutscher Meister, yeaay!

 

Das Hamburger Team, Brett 1 nicht anwesend           

 

Merijn van Delft

 

Ich hatte mir zwischendurch irgendwie eine deftige Erkältung zugezogen, weshalb ich dann für die letzte Runde pausierte. Nichtsdestotrotz konnte die Mannschaft das Turnier mit einem 4:2 Sieg abschließen und wir behielten eine makellose weiße Weste. Ein weiterer wichtiger Mann, den ich hier noch nicht gewürdigt habe, war Malte Colpe. So einen Spieler nenne ich eine Bank; immer gut vorbereitet und Spiel auf zwei Ergebnisse, was sich auch in seinem Gesamtscore widerspiegelte: 6/7. Last but not least Jan Hinrichs. Jan erwischte nicht sein bestes Turnier und kam auf 3½/7, bei aber nur einer Niederlage. Sowieso waren wir alle grundsolide, zwei Niederlagen aus 41 Partien spricht für sich, denke ich. Und daran hatte natürlich auch Merijn einen erheblichen Anteil, der sich als guter Vorbereiter und Motivator verdient machte. Generell schätze ich die Arbeit mit Merijn, der ein fundiertes Eröffnungswissen besitzt und deshalb nicht auf irgendwelche Trickvarianten bei der Vorbereitung zurückgreifen muss.

 

 v.l.n.r. Schiri Sebastian Bergmeyer, Felix Meißner, Paul Doberitz, Julian Grötzbach,

Niclas Huschenbeth, Jan Hinrichs, Malte Colpe, N.N.

 

Ich wurde vor dem Turnier oft gefragt, warum ich eigentlich mitspiele und was ich mir davon erhoffe. Nun, zum einen hatten wir einfach ein ziemlich cooles Team und zum anderen, auch wenn es schnulzig klingt, manchmal hat man das Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Als ich zum HSK kam, durfte ich direkt in meiner ersten Saison Bundesliga-Luft schnuppern und dann sogar mit zum Team-Europacup. Später gab es immer wieder IM-Turniere oder sogar GM-Turniere im HSK, bei denen ich mitspielte und Normen erzielte. Um es klar zu sagen, ohne den HSK wäre ich jetzt wohl kaum Großmeister. Mit diesen Worten möchte ich mich gern verabschieden, aber noch auf eine Sache hinweisen. Demnächst soll meine eigene Website starten, www.niclas-huschenbeth.de, und ich würde mich sehr freuen, euch dort begrüßen zu dürfen.

 

Niclas Huschenbeth



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