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Deutsche Jugendeinzelmeisterschaften in Oberhof oder DEMOnstration der Deutschen Schachjugend

Die DSJ garantiert: 8 Tage, über 600 Leute und viel Spaß.

 

Seitdem das Konzept beschlossen wurde, die Deutschen Jugendmeisterschaften als Großveranstaltung mit den Altersklassen U10 bis U18 zentral auszutragen, muß die DSJ in jedem Jahr eine organisatorische Meisterleistung vollbringen: Ca. 600 Spieler, Trainer, Betreuer, Eltern und andere Angehörige erwarten während der acht Tage dauernden Meisterschaft, daß alles nach ihren Vorstellungen geregelt wird und auch die abwegigsten Sonderwünsche mit einem freundlichen Lächeln erfüllt werden. Einer, der dies - leider des öfteren im Gegensatz zum Personal an der Rezeption des Euromillhotels (das ansonsten für ein solch großes Jugendturnier sehr geeignete Bedingungen bot) - mit wahrer Engelsgeduld vollbrachte, war Markus Semmel aus Hessen, der für die Zimmerverteilung und die Finanzen zuständig war und ein unglaubliches Arbeitspensum bewältigte. Beobachtete man Markus Semmel an seinem Tisch im Foyer des Hotels, beneidete ihn wohl niemand um seine schwere Aufgabe. Da haben sich Landesverbände nur unvollständig angemeldet, da kommen Familien plötzlich mit weiteren drei Kindern, da will eine Hamburger Betreuerin ihr Zimmer tauschen, um näher an ihren Schützlingen zu sein!? Alles kein Problem: Noch am selben Abend war alles unter "Dach und Fach"!

 

Dr. Freizeit berät in allen Lebenslagen:

 

Im Foyer erwartete jedoch nicht nur Markus Semmel die ankommenden Kinder: Mit von der Partie war auch Chessy, das Maskottchen der DSJ, das die Kinder begrüßte und sogleich für die ersten Erinnerungsfotos sorgte. In Chessy verbarg sich eine weitere wichtige Person dieser Meisterschaft (und schwitzte in der Verkleidung erbärmlich): Christian Warneke, der Öffentlichkeitsreferent der DSJ und Mitglied des Freizeit-Teams, ließ es sich nicht nehmen, seine Hamburger Freunde zu begrüßen. Am Informationstisch der DSJ verteilten Helmut Schuhmacher, Leiter der Organsisation, und seine Frau die DEMO, "das einzige Magazin in Oberhof", die täglich erscheinende Zeitung zur Meisterschaft, und verschiedenfarbige Buttons, die jeden Spieler, Betreuer und die Eltern u.a. zum Einnehmen der Mahlzeiten berechtigte.

 

Die Buttons waren auch die Eintrittskarte zum Dr. Freizeit-Büro, das sich natürlich nicht darauf beschränkte, den Kindern "gegen Button" Spiele und Bälle auszuleihen: Freizeit-Chef Boris Bruhn und sein Team hatten sich in guter Hamburger Tradition die ultimative Meisterschaft in Pinneberg 1996 zum Vorbild genommen! Und mit Jan Pohl, Nils Richter, Carsten Patjens, Patrick Thiele, André van de Velde (alle Hamburg), Arvid von Rahden (MVP) und Steffi Jacob (Thüringen) hatte er sich ein Team zusammengestellt, das bestens in der Lage war, den Teilnehmern neben den Schachbrettern die Meisterschaft so angenehm wie möglich zu machen. Tatkräftig zur Seite standen ihnen außerdem Christian Warneke (Hamburg) und Franziska Seel (Hessen), die die DEMO in nächtlicher Schwerstarbeit produzierten, damit sie die ausgeschlafenen Teilnehmer des Morgens auf dem Frühstückstische hatten. Die tägliche Zeitung, ebenfalls eine Hamburger Tradition auf den Endrunden und Schachreisen, war meines Erachtens die größte Bereicherung im Vergleich zum letzten Jahr. Die Begeisterung der Teilnehmer ging so weit, daß die Mädels an der Rezeption entgeistert gefragt wurden, wieso sie denn neben den "normalen" Tageszeitungen nicht die DEMO hätten (Skandal!)!

 

Schwerstarbeit leisteten auch die Redakteure des Bulletins: Felix Kleinschmidt, Christoph Schild, Alexander Kemmerling, Martin Momot, Oliver Koeller, Ulla Höhmann und Christian Blekens bekam man deshalb auch kaum zu Gesicht, da sie fulltime damit beschäftigt waren, aus unleserlichen U10- und U12-Formularen halbwegs nachvollziehbare Partien zu formen. Ein großes Lob also auch an das Team des Bulletins, das sicherlich keine leichte Aufgabe hatte. Dem Freizeitteam und der Bulletinredaktion standen die Kopier-Profis Thomas Bundrock und Ronald Heinicke helfend zur Seite.

 

Erläutern, ermahnen, trösten und mitschreiben - die Schiedsrichter:

 

Nicht viel besser erging es da wohl den nach den Spielerinnen und Spielern wichtigsten Persönlichkeiten, den Schiedsrichtern: Besonders Reinhard Sabel, Peter Faiß, Andreas Ryba und Ina Rotenberg, die für die Mammutturniere der U10 und U12 mit insgesamt 212 Teilnehmern zuständig waren, hatten alle Hände voll zu tun. Sie alle hätten mir aber wohl zugestimmt, daß ihre Aufgabe wahrlich paradiesisch gewesen wäre, hätte sie sich auf die 212 teilnehmenden Kinder beschränkt... Viel anstrengender als jene waren denn auch, wie schon die letzten Jahre gezeigt haben, die Eltern und Betreuer/Trainer, die oftmals übermotiviert agierten und ihren Schützlingen durch ihr Eingreifen in laufende Partien bestimmt keinen Gefallen taten. Völlig unverständlich ist es mir außerdem, wie Mütter und Väter, die vom Schach bestimmt weniger verstehen als ihre Kinder, die gesamte Partie über neben dem Brett stehen können und - weil’s ja auch irgendwie langweilig wird auf Dauer - Privatgespräche führen. Vielleicht sollte man in Zukunft wirklich überlegen, Regelungen einzuführen, wie sie bei Welt- und Europameisterschaften gang und gebe sind: keine Eltern und Betreuer im Spielsaal oder in jedem Falle weiträumige Absperrungen für Zuschauer. Oder wie wär’s im nächsten Jahr mit einem Pflicht-Schachkurs für Eltern, die zum "krönenden" Abschluß dann ihr Bauern- oder Turmdiplom machen können!? Und als Belohnung fürs bestandene Bauern-Diplom könnte U10-Meister Atila Figura dann simultan gegen lauter stolze Eltern spielen... Mir kommt Herbert Grönemeyers ‚Kinder an die Macht‘ in den Sinn: "Verkehrte" Welt, aber die Vorstellung ist verführerisch!

 

Etwas entspannter - jedenfalls in den ersten drei Stunden der Partien - war’s für Rafael Müdder, Dr. Jürgen Klüners und Holger Borchers, die für die Großen der U14, U16 und U18 zuständig waren. Da konnte Holger Borchers schon mal in der ersten Stunde mit dem bayrischen Betreuer und Allround-Unterhalter Michael "Willi" Willim frühstücken gehen, den Spieß mal umdrehen und Willi mit Anekdoten und perfekt vorgetragenen russischen Sprichwörtern beeindrucken. Stressig wurde es für sie nur in den Zeitnotphasen, die sich zum Leidwesen von Jürgen Klüners wohl besonders in der U16 häuften...

 

Und auch das gibt’s bei der DSJ - die Chefs:

 

Über die Schiedsrichter wachte in seiner neuen Funktion als Nationaler Spielleiter Norbert Lukas, er war "das Gesetz im Turniersaal" (DEMO Nr.1), und in gewohnter Souveränität leitete Jörg die Veranstaltung - mit einem Zitat aus der DEMO: "Einer ist immer der Dumme und hält seinen Kopf hin, in der offiziellen Sprache heißt das Gesamtleiter und das ist Jörg Schulz, im Normalberuf Geschäftsführer der Deutschen Schachjugend (DEMO Nr.1)." Er mußte nur einmal kurz schlucken, als bei der Siegerehrung klar wurde, daß die Spendenaktion der DSJ für die ‚tour des hommes‘ über DM 2.000,-- erbracht hatte und er in einer etwas zu launigen Rede mit einer etwas befremdenden Wortwahl des Vorsitzenden der thüringischen Schachjugend daran erinnert wurde, daß er nun seinen Wetteinsatz einzulösen habe: Die Lockenpracht muß ab! Leider war die bayrische Betreuerin Isabelle Strehle, die in einem früheren Leben wohl mal Friseurin gewesen sein muß und ihre Künste ja schon in Pinneberg 1996 an André van de Velde und Ilka Haussmann bei einer ähnlichen Spendenaktion unter Beweis stellen konnte, schon abgereist, so daß Jörg an diesem Abend noch einmal verschont blieb... Aber irgendwann wird er seinen Kopf noch einmal hinhalten müssen?

 

Die Meisterschaften:

 

U10:

 

Die Meisterschaft der Kurzen, in diesem Jahr erstmals durchgeführt, hatte einen ganz klaren Favoriten: Atila Figura aus Berlin beeindruckte mit einer DWZ von 1725, mit der er in der Setzliste Matthias Bentz aus NRW um rund 300 Punkte auf den 2. Platz verwies, wonach wieder eine große Lücke von rund 300 Punkten zum Feld folgte. Für viele der teilnehmenden Kinder und ihre Eltern war es jedoch das erste große Schachturnier - so z.B. für die sechsjährige Lara Stock aus Baden, die mit sieben Minuten weniger auf der Uhr in die Partie starten mußte, dafür durfte ihr Vater dann aber die Partie mitschreiben...

 

Die sieben Minuten Zeitnachteil sind in dieser Klasse natürlich von der nebensächlichsten Bedeutung: Viele Partien waren schon nach wenigen Minuten und Zügen entschieden - und dann gab’s Jubel oder auch Tränen. Zum Trost für unsere Küken sei allerdings gesagt: Die kürzeste Partie fand nicht hier, sondern in der Königsklasse der Meisterschaft, der U18, statt: In sechs Zügen gewann hier Elisabeth Pähtz gegen einen ausgetricksten Gregory Pitl... Zu dieser bemerkenswerten Partie und ihrem Vor- bzw. Nachspiel aber später noch mehr.

 

Der Favorit Atila Figura, der im Simultan auch GM Luther besiegte, leistete sich während des elfrundigen Turniers nur einen Ausrutscher: In der siebten Runde vergaß er einmal kurz die Bedeutung seines Namens und konnte den Figureneinsteller gegen den späteren Vierten des Turniers Raiko Siebarth aus Thüringen nicht mehr wettmachen. Eine Punkteteilung noch gegen den Vizemeister Falko Bindrich aus Sachsen, und die 9,5 Punkte für den souveränen Titelgewinn waren perfekt. Für die anderen U10-Kinder war Atila so etwas wie ein Star: So wurde die Berichterstatterin von ihren drei U10-Jungs regelmäßig über Atilas Stellungen und Resultate informiert und Attila Radulsecu aus Hamburg, der mit seinem 97. Platz natürlich nicht zufrieden war, war’s wenigstens mit seinem Vornamen - wenn auch mit einem ‚t‘ zuviel...

 

Bei den Mädchen verlief die erstmals offiziell ausgespielte Meisterschaft spannender: Noch in der letzten Runde lagen Ekatarina Jussupow (Bayern), Larissa Erben und Saskia Zikeli (beide Württemberg) mit sechs aus zehn gleichauf: Der Zufall des Schweizer Systems wollte es dann so, daß es zwischen Ekatarina und Saskia ein Endspiel um den Mädchen-Titel geben sollte, während Larissa nur im Fernduell gegen Georg Forchmann ihre Chancen wahren konnte. Doch auch in dieser entscheidenden Situation verlor Turnierliebling Ekatarina Jussupow ihre ansteckende Natürlichkeit und Unbefangenheit nicht: In einer sehenswerten Angriffpartie, die sie sowohl im schachlichen also auch im zeitlichen Sinne à tempo spielte (den Gewinnzug 28...Lg5 zog sie blitzschnell, sicherte sie sich verdient den Titel der Deutschen U10-Meisterin dank der wesentlich besseren Buchholz im Vergleich zu Larissa Erben, die Vizemeisterin wurde.

 

U12:

 

Die nur ein oder zwei Jahre älteren Kids aus der U12 konnten sich schon fast als "Große" fühlen: Zeitnotschlachten und Remisreklamationen waren in der U12 an der Tagesordnung, und natürlich dauerten die Partien auch sehr viel länger als in der U10. Die Kinder entwickeln sich weiter - manche Eltern allerdings nicht: So wird während der ganzen Partie am Brette des Söhnchens gewacht, und einem Hamburger Betreuer geschah es sogar, daß er unvermutet beim Kiebitzen wegeschubst wurde! Was war geschehen? Er hatte, oh Frevel, unbewußt die weiße Absperrungslinie mit einem Fuß leicht touchiert! Das rief natürlich sofort eine zartrosa Mami auf den Plan, die löwenähnlich ihr Junges gegen diesen Angriff verteidigte. Schön nur, daß wir sie später bei ebensolcher "Sünde" beobachten konnten und wenigstens die Lacher auf unserer Seite hatten...

 

Der Kampf um die Meisterschaft gestaltete sich sehr spannend: Lange Zeit lief der Neu-Delmenhorster Andreas Schneider im gelben Trikot auf. Zwar leistete er sich in der fünften Runde eine Niederlage, danach jedoch gab er lediglich zwei Remisen ab und führte vor der letzten Runde mit acht aus zehn. In der letzten Runde aber zeigte er Nerven und überschritt in ausgeglichener Stellung gegen Arik Braun aus Württemberg die Zeit im 60. Zug. Ein Remis hätte gereicht - seine Buchholz war die beste. So war der Weg frei für Kai Christian Meyer (Hessen), Axel Heinz (Bayern) und Arik Braun (Württemberg), die mit 8,5 Punkten die Tabelle anführen; die Buchholz-Wertung entschied über die Plätze.

 

Bei den Mädchen gab es einen noch spannenderen Zieleinlauf: Zwischen den vier Mädels, die mit 6,5 aus 11 das Turnier beendeten, hatte Sandra Kege aus Sachsen-Anhalt die deutlich beste Buchholz, so daß sie sich mit einem Remis in der letzten Runde den Titel sichern konnte. Maria Schöne (Sachsen) und Friederike Wolk (Hessen) belegten die Plätze.

 

U14m+w:

 

Kommen wir nun in die Regionen, in denen es separate Turniere für Jungen und Mädchen gab, lediglich 24 Spieler pro Gruppe am Start waren und auch nicht mehr nach Buchholz, sondern nach DWZ-Schnitt über die Plätze bei Punktgleichheit entschieden wurde.

 

Und schon in der U14 tritt der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen mit erschreckender Deutlichkeit zu Tage: Aus der U14w wäre lediglich Sonja Häcker bei der U14m nicht auf dem letzten Listenplatz gelandet, der Unterschied zwischen den beiden Führenden der Setzliste beträgt 556 Punkte...

 

Bei den Jungs trug Hannes Rau aus Hessen das gelbe Trikot bis zur letzten Runde, obwohl er in der achten Runde eine Niederlage gegen Alexander Gasthofer (Württemberg) hinnehmen mußte. Dank der besseren Wertung reichte ihm dann ein Remis gegen Volker Seifert (Sachsen), das Alexander Gasthofer, der keine Partie verlor, fünfmal remisierte und einen glänzenden Schlußspurt mit 2/2 hinlegte, auf den zweiten Platz verwies. Den alleinigen dritten Platz erreichte Philipp Balcerak aus Rheinland-Pfalz, dem dazu ebenfalls ein Remis in der Schlußrunde reichte. In dieser Runde zeigte sich aus dem ersten Drittel der Tabelle sowieso nur Alexander Gasthofer in Top-Form - alle anderen remisierten, z.T. allerdings in langen, ausgekämpften Partien.

 

Die Franziskas, Fey und Beltz, aus Sachsen konnten bei den Mädchen das Treppchen als erste besteigen, nachdem es lange Zeit nach einem württembergischen Sieg von Sonja Häcker ausgesehen hatte. Sie verlor allerdings in der letzten Runde gegen Elvira Mass aus NRW, so daß ihr nur der sehr unglückliche vierte Platz blieb. Die Bronzemedaille erkämpfte sich Dorothea Schuler aus Hamburger, nur aufgrund der schlechteren Wertung hinter den beiden Franziskas. Mit ein bißchen mehr Glück hätte sie auch einen halben Punkt mehr machen können - hier schlägt natürlich das doch etwas parteiische Herz der Hamburger Berichterstatterin...

 

U16m+w:

 

In der U16m sah es lange nach dem Sieg eines Favoritenschrecks aus: Julian Zimmermann aus Hamburg spielte bis zur achten Runde ein hervorragendes Turnier, was auch durch seine Wertung demonstriert wird. Doch nach seiner Niederlage gegen Jens Hofrichter war der Weg frei für Thomas Pähtz jr. aus Thüringen, der sich, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, seinen ersten Titel in einer Deutschen Einzelmeisterschaft vor seinem ehemaligen Vereinskollegen Ferenc Langheinrich sicherte. Titelentscheidend: Ferenc Langheinrich zeigte sich einmal zu friedlich, und Thomas Pähtz mobilisierte bei seinem Schlußspurt mit 2/2 die letzten Kräfte. Auf den dritten Platz schob sich Christian Seel, der sich nach einer frühen Niederlage gegen Thomas Pähtz noch einmal fing und auf 6 Punkte kam. Leidtragender war in diesem Fall der Hamburger Julian Zimmermann, der lange Zeit das gelbe Trikot des Führenden getragen und gegen Thomas Pähtz und Ferenc Langheinrich problemlos remisiert hatte.

 

Die U16w erfreute sich bei den Kiebitzen neben der U18m einer großen Beliebtheit. Das mag daran liegen, daß mit Tina Mietzner aus Sachsen und Leonie Helm aus Hamburg zwei große Talente des deutschen Mädchenschachs am Start waren, die auch noch von Caroline Umpfenbach aus Thüringen und Elisabeth Schloßberg aus Bayern verfolgt wurden - ein spannender Turnierverlauf schien also garantiert.

 

Es mag aber auch daran liegen, daß ein noch größeres Talent des deutschen Mädchenschachs, Elisabeth Pähtz, die in der U18m spielte, durch eine ausgefallene Wett-Aktion - die sich natürlich schnell herumsprach - die Aufmerksamkeit von sich ab- und auf ihre Vereinskollegin beim Dresdner SC Tina Mietzner lenken wollte. Da werden die Reden unserer Politiker und auch unserer bayrischen Betreuer von der Notwendigkeit, die "Mauer in den Köpfen" endlich zu überwinden, immer wieder einmal unterlaufen: Elisabeth (Thüringen) wettete mit Matthias Duppel (Württemberg) um ihre Haare!

 

Sollte nämlich ein "Wessi" die U16w gewinnen, sollten 10 cm ihrer Haarpracht fallen - Matthias riskierte im Falle eines "Ossi-Sieges" lediglich 5 cm... Dieses "Wettspiel" als Beiwerk des Wettkampfes steigerte noch Brisanz und Spannung dieser Meisterschaft.

 

Bis zur sechsten Runde bedrohte überraschend Stefanie Schulte (NRW) Ellis Haarpracht. Stefanie gewann in der dritten und vierten Runde überraschend gegen die offenbar indisponierten Caroline Umpfenbach und Leonie Helm, für die das Turnier danach gelaufen schien. Erst Elisabeth Schloßberg, allerdings ebenfalls ein Wessi, stoppte Stefanie Schulte in der sechsten Runde, was Tina Mietzner, die sich bis dato mit drei Remisen friedlich gezeigt hatte, als neue Trägerin des gelben Trikots qualifizierte, denn Leonie Helm, die sich in dieser vorentscheidenden sechsten Runde wieder gefangen und eine fehlerfreie Partie gegen Tina Mietzner zu einer Gewinnstellung geführt hatte, ließ in der Schlußkombination einen Zwischenzug (31. Txb2! +- statt 31. Dd5+?) aus und verdarb die Partie zum Remis. Tina ließ sich nun die Butter nicht mehr vom Brett nehmen, gewann gegen Corinna Lange und Alice Winnicki aus Hamburg, die es ihr wie in der letzten Runde auch Elisabeth Schloßberg so schwer wie möglich machte und beide am Rande einer Niederlage hatte. In der letzten Runde brauchte sie dank besserer Wertung gegen Marina Görke nur ein Remis. Zweite wurde Elisabeth Schloßberg aus Bayern, den dritten Platz belegte eine weitere Überraschung des Turniers: Christiane Gorka aus NRW.

 

Die Wette also entschieden!? Matthias Duppel zog sich wenig elegant aus der Affäre: Er ging bereits einige Tage zuvor zum Friseur und behauptete hernach, bei dieser Gelegenheit bereits fünf Zentimeter in weiser Vorausahnung geopfert zu haben. So wurde also Elisabeths Risikobereitschaft nicht dadurch belohnt, selbst Hand anlegen zu dürfen - Schade, wir wären alle gern live dabeigewesen.

 

U18w:

 

Die U18w war in diesem Jahr sehr ausgeglichen - ausgeglichener als es ein Blick auf die nackte Tabelle erscheinen läßt. Zum engeren Favoritenkreis zählte man Svetlana Polushkina (Niedersachsen), Maria Cleven (NRW), Malin Klawonn (Hamburg) und Anna Stephan (Bayern). Maria Cleven hatte im Verlauf des Turniers Pech, wurde viermal hochgelost und wollte sich nach eigener Aussage nach ihrer Niederlage gegen Malin Klawonn auf die U16w konzentrieren und ihre Kollegin aus NRW zum Titel "puschen". Was daraus geworden ist, hat der interessierte Leser bereits erfahren und auch Maria Cleven gelang nicht mehr viel: Mit 4,5 Punkten und dem 13. Platz wird sie kaum zufrieden sein.

 

Die ersten Runden waren jedoch nicht Maria, Svetlana oder Anna das Hauptgesprächsthema der kiebitzenden Betreuer: Helena Fiser aus Hessen düpierte trotz einer 300-Punkte-DWZ-Lücke die Konkurrenz und führte bis zur sechsten Runde mit 4,5 aus 5. Anna Stephan und Malin Klawonn, die sich nach einem sehr schönen Turmopfer vergriff und dann auch noch die Zeit überschritt, gehörten zu ihren Opfern, und gegen Svetlana hatte Helena mit Schwarz locker remis gehalten. Vielleicht hätte sie auf Sieg weiterspielen sollen, denn danach lief gar nichts mehr: Katja Guhr, Anna-Luise Heymann, Rebecca Ehret und Nora Fenske hielten sie auf der 50%-Marke fest. Ganz im Gegensatz dazu die Schlußphase von Svetlana Polushkina: Nachdem sie in der fünften Runde äußerst glücklich gegen Malin Klawonn remisieren konnte, schlug sie in der sechsten in einer umkämpften Partie Anna Stephan, dann auch noch Katja Guhr und Anna-Luise Heymann, bevor sie in der Schlußrunde gegen Rebecca Ehret nur noch zu remisieren brauchte.

 

Daß niemand vor den Kommentaren von ganz besonders schlauen Kiebitzen sicher ist, zeigt diese kleine Anekdote: Die neue U18-Meisterin Svetlana Polushkina kommt aus Niedersachsen, von der IGM Osnabrück. Ihre Elo von 2070 war auf dem Namensschild hinter dem Verein vermerkt, was zwei Zuschauer, die das Pensionsalter schon seit geraumer Zeit erreicht haben durften, zu folgendem Kommentar anregte: "IGM, Karl-Heinz, das heißt doch Internationale Großmeisterin, ne?" "Ja, klar, is schon traurig, daß über 2000 bei den Frauen schon für diesen Titel reicht..."

 

U18m:

 

Die Königsklasse der diesjährigen Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften konnte unspektakulär Rainer Buhmann aus Württemberg für sich entscheiden: Er gewann einfach die ersten vier Partien und remisierte dann fünfmal, was zu 6,5 Punkten, der besten Wertung und dem ersten Platz führte. Herzlichen Glückwunsch! Den Vizemeistertitel sicherte sich mit einem Sieg in der letzten Runde der Hesse Florian Grafl, alleiniger Dritter wurde Henning Schneider aus Sachsen - hätte Elisabeth doch auch um den Ausgang in ihrer Gruppe gewettet...

 

Das Interesse der Kiebitze galt neben der Spitzenpaarung natürlich vor allem auch Elisabeth, die fünf Jahre jünger als viele ihrer Gegner war und außerdem ja das einzige Mädchen im Feld. Nachdem sie unglücklich mit einer Null ins Turnier gestartet war, fing sie sich wieder und machte besonders die Doppelrunde am Dienstag zu einem unvergeßlichen Erlebnis nicht nur für ihre Gegner, sondern auch für die Betreuer aus Bayern und Hamburg, der sie mehrere Running-Gags bescherte: Morgens spielte sie mit Schwarz gegen Bayerns Nr. 1 Johannes Zwanzger und gewann überraschend deutlich in 32 Zügen. Gut, kann passieren. Erstaunlich jedoch die Reaktion eines anderen Bayerns, Gregory Pitl, der zu diesem Zeitpunkt im Gegensatz zu Johannes (1,5 aus 4) schon 2,5 Zähler sein eigen nennen konnte. Pitl begrüßte Zwanzger - jeder normale Mensch hätte ein paar tröstende Worte gefunden oder zumindest gesucht - beim Mittagessen mit den Worten: "Gell, Zwanzger, Du hättest jetzt auch gerne 2,5 Punkte!" Der ahnungslose Pitl wußte aber anscheinend nicht, daß kleine Sünden... usw., jedes Kind kennt dieses Sprichwort! So auch Elisabeth Pähtz, der in der Nachmittagsrunde Pitl zugelost wurde. In der thüringischen Vorbereitungsküche wurde rund um die Uhr gearbeitet und folgendes kreiert: Man fürchtete Pitl gefährlichste Waffe, den Sweschnikov-Sizilianer. Plan war also 1. Sc3 zu spielen, um danach den Sweschnikov nicht unmöglich, aber schwer zu machen. Gesagt, getan. Perfekt vorbereitet spielt Elisabeth 1. Sc3 und guckt Pitl triumphierend an. Der zeigt sich aber männlich unbeeindruckt: 1...c5 - im Sizilianer sind wir schon mal. Über die weitere Zugfolge wollen wir gnädig den Mantel des Schweigens breiten, gesagt sei nur, daß beide mit unglaublicher Selbstsicherheit und folgerichtig hohem Tempo spielten, Pitl aber nach sechs Zügen und zwei Minuten Spielzeit die Uhren anhielt: Elisabeths Springer waren bedrohlich auf d5 und b5 "aufgetaucht" - nur so viel sei gesagt.

 

An Elisabeths Art, ihre unbändige Freude nach Pitl Aufgabe zu zeigen, konnte man dann doch sehen, daß sie ein 14jähriges Mädchen ist: Freudestrahlend rannte sie zu ihrem Bruder, umarmte ihn und erzählte dann diese unglaubliche Partie und ihre Vorgeschichte jedem, der sie hören wollte - und dies waren nicht wenige. Sie schoß aber noch einen Vogel ab: Als sich die Betreuerdelegation aus Hamburgern und Bayern vor dem Hotel in der Sonne aalte, kam sie vorbeigehüpft, um noch ein paar Lacher zu produzieren. Dabei plauderte sie ein bißchen aus dem thüringischem Nähkästchen: Man habe sich ausgerechnet, da man ja, wie gesagt, den Pitl-Sweschnikov fürchtete, daß nach 1. Sc3 die von Pitl angestrebte Variante nur mit 1...d5 zu erreichen sei! 1...d5!? Nach kurzer Ratlosigkeit, Elisabeth war inzwischen schon in Richtung Matthias Duppel abgedampft, der wenige Meter entfernt mit einem Stock und Plastikteller (Balancier-)Kunststücke für sie aufführte, fragten wir uns: Wie ist das möglich!? Nach langen und komplizierten Überlegungen ist es uns gelungen, nach der Zugfolge 1. Sc3 d5 in eine Sweschnikov-Variante zu finden - aber es war nicht leicht... Vielleicht haben die Leser der ROCHADE ja Lust, ein wenig zu knobeln und kreativ zu sein! Die interessanteste Lösung wird mit einem "Black is ok with Sweschnikov" von Gregory Pitl belohnt...

 

Abschließend möchte ich mich nochmals bei all denjenigen bedanken, die mit ihrem großen Engagement zum sehr guten Gelingen der Meisterschaften beigetragen haben: Allen voran der DSJ, dem Dr. Freizeit-Team, den Schiedsrichtern und dem Bulletin-Team - und last not least den Spielerinnen und Spielern!

 

Eva Maria Zickelbein, Hamburg

 

P.S.: Den Dienstag machte Elisabeth Pähtz zum rabenschwarzen Tag für die Bayern - am Mittwoch waren dann die Hamburger dran: Erst deklassierten sie im traditionellen Fußballmatch Hamburg gegen Bayern die armen Süddeutschen mit 26:7, dann bejubelten sie auch noch die ManU-Tore des Abends gegen den FC Bayern - der traditionell guten Freundschaft zwischen Hamburgern und Bayern tat dies selbstverständlich keinen Abbruch (Viele Grüße an dieser Stelle an Willi, Ludewig, und Gottlieb!).

 

 

Die Meisterschaften aus HSK-Sicht:

 

Die HSK-Delegation in diesem Jahr hatte mit Leonie Helm (U16w) und Malin Klawonn (U18w) zwei heiße Eisen im Feuer - zum Turnierverlauf später mehr. In der U18w schlug sich außerdem Katharina Goetz sehr wacker.

 

Doch da die Malin und Leonie ja nicht nur selbst spielen, sondern sich auch in der Jugendarbeit engagieren, freute es sie besonders, daß auch vier Kinder aus der Mini-Mini-Trainingsgruppe dabei waren: Für Annika Giersiepen (U12) war diese Deutsche Meisterschaft nach der HJEM das zweite große Schachturnier und sie wollte vor allen Dingen Erfahrungen sammeln. Gleiches galt auch für die "Kleinen" David Chyzynski, Attila Radulescu, der aufgrund seines Ergebnisses bei der Deutschen U9-Meisterschaft sogar einen Freiplatz erhalten hatte, und Amos Schikowsky (alle U10).

 

Betreut wurden die HSK’ler von Dirk Sebastian und Evi Zickelbein.

 

U10 und U12:

 

Unsere drei kleinen Racker hatten vor allen Dingen mit der eigenen Aufregung und dem dadurch entstehenden Blitzen zu kämpfen, das zu vielen unnötigen Einstellern führte. Doch spielten sie von Partie zu Partie langsamer und konzentrierter, so daß im Laufe des Turniers eine klare Steigerung zu erkennen war. Doch müssen wir natürlich erkennen, daß wir noch viel und vor allen Dingen konzentriert trainieren müssen, wenn wir anstreben, daß der ein oder andere aus unserer Mini-Mini-Trainingsgruppe bei einer solchen Meisterschaft oben mitspielen kann...

 

Am Ende hatte der Jüngste die meisten Punkte: David machte 5 aus 11, Amos 4,5 und Attila 3,5.

 

Annika in der U12 hatte in einigen ihrer Partien ein ganz anderes Problem als die Kleinen: Sie kam in Zeitnot und wurde immer nervöser und nervöser... Doch hatte auch sie mit kleinen Unkonzentriertheiten zu kämpfen, die dann auch mal Material kosteten. Ihre Partieanlage ist jedoch durchdacht und ich denke, daß Annika auf der Deutschen Meisterschaft viel gelernt hat - u.a. hat sie sich mit ihrer Zimmernachbarin Julia Lipp von der Schachelschweinen selbstständig eine Eröffnung angeguckt (welche, kann hier natürlich nicht verraten werden) und sie dann auch gleich mit Erfolg ausprobiert! Annika machte 3,5 Punkte.

 

U16w und U18w:

 

Leonie ist mit ihrem vierten Platz ganz sicher nicht zufrieden, doch wird sie in diesem Jahr - u.a. bei der Weltmeisterschaft U16w im Oktober, in der Damenbundesliga und in der Landesliga - noch genug Gelegenheiten haben, ihre Spielstärke unter Beweis zu stellen...

 

Der Turnierverlauf von Malin war etwas unglücklich: Nachdem sie in der zweiten Runde nach spektakulärem Turmopfer gegen Helena Fiser die Zeit überschritt, rappelte sie sich nochmal auf und gewann die nächsten zwei Partien. In ihrer Partie gegen die spätere Meisterin Svetlana Polushkina allerdings "verdaddelte" sie ein total gewonnenes Endspiel zum Remis. Trotzdem gewann sie danach noch gegen Maria Cleven, doch gegen Anna Stephan ging dann in der 7. Runde gar nichts mehr. Zum Abschluß des Turniers war dann natürlich die Luft raus und Malin widmete sich folgerichtig eher den außerschachlichen Aktivitäten und remisierte die letzten zwei Runden.

 

Eva Maria Zickelbein



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