Hamburger Schachklub von 1830 e.V.

Königlich in Fantasie und Logik

Offener Spielbetrieb, auch für Gäste: Jeweils Dienstag & Freitag von 18:30 – 22:00 Uhr bieten wir einen offenen Spielabend an! Wir freuen uns über alle Interessierten, die uns kennenlernen möchten. Wir bitten um Anmeldung über schachklub@hsk1830.de.

HMM 2023, Bezirksliga C: HSK 12 – SKJE 4 – Entscheidung in der Overtime!

Ist das die Niederlage? Beide Spieler haben nur noch ungefähr eine Minute auf der Uhr. Die weiße Dame erscheint auf d5. Schwarz schiebt im Gegenzug einen Bauern nach vorne, auf g3. Weiß hat so gut wie keine sinnvollen Züge mehr zur Verfügung und spielt f4, um die f-Linie, auf der sowohl der weiße König als auch die schwarze Dame stehen, zumindest vorerst geschlossen zu halten. Schwarz zieht nach kurzem Nachdenken a2. Ein weiterer schwarzer Freibauer steht schon auf c2 zur Umwandlung bereit. Der Anziehende weiß längst, dass er auf Verlust steht. Ohne zu zögern schlägt er mit der Dame den Bauern auf a2. Die Emotionen – Frust, Verzweiflung und Enttäuschung – sind ihm jetzt deutlich anzusehen. Beim Abstellen des Bauern, den er soeben genommen hat, wirft er die zuvor geschlagenen Figuren neben dem Brett um. Schwarz nimmt das nicht wahr, bleibt weiter konzentriert, wirkt wie in Trance. Der Läufer schlägt nun den Bauern auf f4. Und das ist der Augenblick, in dem sich die über Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre gestaute Zeit in der einen Geste verdichtet: Weiß reicht seine Hand zum Zeichen der Aufgabe über das Brett…
Der 17. Weltmeister der Schachgeschichte heißt Ding Liren.

Ähnlich spannend wie im Tiebreak der Schach-Weltmeisterschaft geht es am Vorabend bei unserem „Prolog“ in der Bezirksliga zu. Es entbrennt ein intensiver Kampf, welcher ebenfalls der Overtime bedarf: Die letzten Uhren werden erst kurz vor Mitternacht angehalten. Wir haben die vierte Mannschaft von SKJE zu Gast. Das Team hat vor dem Duell zwei Mannschaftspunkte, steht auf Rang 5 und möchte scoren, damit das Tabellenende außer Sicht gerät.

Die erste Entscheidung fällt, wie könnte es anders sein, bei Elvin. Er besorgt das frühe 1:0 für uns und baut seine Serie auf 4 aus 4 aus. Sein Gegner wählt mit Schwarz die Caro-Kann-Eröffnung. Schon bald liefern sich die Kontrahenten einen offenen Schlagabtausch. Als Schwarz die weiße Dame einen Zentrumsbauern auf d5 schlagen und sie so in die eigene Stellung eindringen lässt, ist die Partie entschieden. Folgerichtig gibt Elvins Gegner im 24. Zug auf. Eines ist schon heute sicher: Elvin wird in der nächsten Saison nicht mehr an Brett 6 spielen… 🙂

Stellung nach 15. … Sc6. Elvin spielt darauf Dxd5 und gewinnt

Sehr freue ich mich darüber, Frank nach längerer Zeit wiederzusehen. Das letzte Mal datiert, soweit ich mich erinnere, aus dem Vorjahr, als wir unsere DSOL-Meisterschaft mit einem teaminternen Grillen nebst Blitzturnier feierten. Frank spielt heute an Brett 7 und entscheidet sich für die lange Rochade. Ich komme nur einmal am Brett vorbei: Er steht aktiv und hat Angriffschancen. Leider kann sein Gegenüber die Partie später gewinnen. Ähnlich ergeht es Tim am 8. Brett. Sein Gegner und er kämpfen lange, bevor Tim das Endspiel verloren geben muss. Tim und Frank werden sicherlich wieder mehr Spielpraxis sammeln; für das Team ist ihr Einsatz immens wichtig.

Zu diesem Zeitpunkt steht es 2:3 gegen uns. David gewinnt zunächst seine Partie am Spitzenbrett und bestätigt seine anhaltend bestechende Form. Als ich ihm über die Schulter luge, ziehen bereits dunkle Wolken – in Form der schwarzen Dame, Turm und Springer – um den weißen König auf. Kurz darauf ist die Partie entschieden. Sicherlich werden wir uns bald gemeinsam mit David über eine Wertungszahl >2000 DWZ freuen können. Weniger gut läuft es leider bei Daviti. Er verliert an Brett 2 mit Weiß gegen einen starken Gegner. Das passiert und ist nicht weiter schlimm. Wirklich schlimm hingegen ist, dass wir Daviti (vorerst) verlieren werden: Im Team-Chat teilt er wenig später die Nachricht, dass seine Familie erneut Nachwuchs erwartet und auch umziehen wird. Zum Glück ist Stade nicht aus der Welt (, wie unser Christian Tegethoff bestätigen wird, nicht wahr?). Ich kann die Fahrgemeinschaft der jungen Väter schon vor mir sehen… Lieber Daviti, wir wünschen Euch alles Gute und halten beide Daumen gedrückt für die bevorstehende Geburt!

Den Ausgleich zum 3:3 besorgt unser Captain höchstpersönlich. Das freut mich ungemein für ihn: Sebastian scort regelmäßig in der DSOL; mit seinem Auftreten in der HMM ist er in dieser Spielzeit bislang nicht immer ganz zufrieden gewesen. Schach spielt er ja eigentlich nur, um sich zwischen zwei Marathonläufen zu erholen… Und wie das bei Langstreckenläufern so ist: Wenn sie erst einmal ins Rollen kommen, sind sie nicht mehr zu bremsen. Jedenfalls zaubert er mit Schwarz einen Sizilianer auf Brett 5. Und nicht nur das: Es gelingt ihm, den weißfeldrigen Läufer seines Gegners ins Abseits zu stellen. Er hat so praktisch eine Leichtfigur mehr. Diese nimmt schon bald, zusammen mit den Schwerfiguren von Schwarz, das Feld g2 und damit den weißen König ins Visier. Als sein Gegenüber dies erkennt, versucht er unter Turmopfer auf g6 einen Mattangriff zu starten. Doch die Dame und ein Randbauer schaffen es nicht allein, und so muss er den Versuch und die Partie aufgeben.

Die Druckstellung des Captains mit Schwarz, nur wenige Züge,
bevor sich sein Gegner für das Opfer auf g6 entscheidet!

An Brett 4 sehen wir derweil die „Leiden des (nicht mehr ganz so) jungen W.“ Mit Weiß habe ich in der Eröffnung die Zugfolge durcheinandergebracht, und auch im Mittelspiel stehe ich schlechter als mein Gegner. Großer Fehler: Statt nun endlich ordentlich Schach zu spielen, bin ich weiter mit emotionalem Selbstmanagement beschäftigt. Ich hadere mit mir. Wir tauschen Figuren ab. Die Partie verflacht. Schon erscheint die kritisch gelupfte Augenbraue meines Trainers vor meinem geistigen Auge – ganz im Ernst: Dieses müde Geschiebe kann ich doch unmöglich zur Analyse im Gruppentraining einreichen. Yoda lächelt leise und nickt. Danke, Malte, das ist der Impuls, den ich gebraucht habe! Mein Gegenüber schaut etwas ungläubig, als ich sein Remis-Angebot im Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern ablehne. Ich beginne also zu spielen, als es eigentlich nichts mehr zu spielen gibt… Doch es fügt sich: Der Läufer des Schwarzen ist innerhalb der eigenen Bauernkette so gut wie eingesperrt. Es gelingt mir, mit meinem König in seine Stellung einzudringen. Dort ist der Raum so beengt, dass eine Art Zugzwang entsteht. So gewinne ich alsbald einen Bauern. Dann bildet Weiß sogar noch zwei verbundene Freibauern am Königsflügel. Kurz vor 23 Uhr führen wir mit 4:3.

Stellung nach 37. Kc5
An Brett 3 fokussiert sich John Christensen in seiner Partie gegen Alexander Stuhlmann. Günter Schierholz und weitere Spieler von SKJE 4 fiebern mit. Foto: Christian Wolf

Ein halber Punkt fehlt uns zum Mannschaftssieg. John, neben mir an Brett 3, kämpft mit Schwarz um den Ausgleich. Vom Material her ist die Partie auch ausgeglichen. Allerdings hat John einen rückständigen Bauern, den sein Gegner zunächst blockiert, dann belagert. Johns Remisangebot lehnt sein Gegner ab und findet im 45. Zug eine gewinnbringende Fortsetzung, indem er Springer und Dame geschickt umgruppiert. Kurz darauf entsteht diese Stellung:

Weiß am Zug entscheidet sich für einen taktischen Schlusspunkt.

Das 4:4-Unentschieden ist am Ende leistungsgerecht. Dass alle Partien eindeutig entschieden werden und es nicht ein einziges Remis gibt, belegt, wie stark an diesem Spielabend gekämpft wird. – Der Schiedsrichter drückt die Uhr. Ding Liren zieht den Damenbauern nach d4. Der Tiebreak um die WM-Krone ist eröffnet…

Christian Wolf

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