Heiligabend ist meine Freundin Anja nach langer, schwerer Krankheit verstorben.
Kennengelernt haben wir uns Anfang der 80er Jahre. Ich war damals Hamburger Meisterin, Anja meine jüngere Konkurrentin. Trotz dieses schwierigen Anfangs entstand daraus eine langjährige Freundschaft.
In den folgenden Jahren spielten wir gemeinsam Turniere: Deutsche Meisterschaften, Damenturniere in Biel und Dortmund und offene Turniere. In Biel übernachteten wir in einer sogenannten Hundehütte auf dem Campingplatz (Geld war knapp, wir studierten damals beide noch). Das ist mir insbesondere in Erinnerung geblieben, da es die gesamte Zeit regnete und wir jeden Tag unsere Klamotten in meinem Auto trocknen mussten. Das Auto war ständig beschlagen (es hatte keine Klimaanlage), und die Fahrt zur Runde dementsprechend abenteuerlich. In Berlin z.B. übernachteten wir gemeinsam bei Horst Metzing, dem damaligen Geschäftsführer des DSB, um Kosten zu sparen. Besonders waren regelmäßig die Fahrten zu den Turnieren: Anjas Orientierungssinn war katastrophal, ihre Kartenlesefähigkeiten aber außerordentlich. Daher musste ich immer herausfinden, auf welcher Grundlage ihre Anweisungen an mich beruhten.
Anja wurde (leider) schnell besser als ich, am Brett blieben wir Konkurrentinnen. Wir nahmen nacheinander an der Schacholympiade teil (in Dubai 1986 durfte ich noch spielen, 1988 in Thessaloniki war sie bereits WIM und ich fuhr nur hin, um sie zu besuchen). Privat spielten wir damals in großer Runde regelmäßig Doppelkopf. Mit dabei waren (die Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig): Thomas Kastek, Michael Ehrke, Jörg Hickl, Frank Hegeler, Johannes Steckner, Frank Behrhorst, Theo Gollasch, Jochen Kossel, Andreas Fehrig, Rainer Grünberg und noch einige mehr. Durch diese privaten Kontakte ergab sich auch eine HSK-Mannschaft, die in den 80er Jahren bis in die Landesliga aufstieg.
Als der HSK noch „HSK im HSV“ hieß, haben wir beide mehrfach das weihnachtliche Buffet hergestellt: Sie war die Kreative, die im Wesentlichen für die Deko zuständig war, und ich briet und buk.
Bei den damaligen Damenbundesliga Wettkämpfen teilten wir regelmäßig das Zimmer und hatten viel zu ratschen.
Anja bewältigte neben diesen zahlreichen schachlichen Aktivitäten ihr Mathematikstudium und fing danach an zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit Michael Ehrke verheiratet.
Auch ohne Schach reisten wir beide häufiger zusammen. So waren wir z.B. gemeinsam auf Mauritius.
Ihre Begeisterungsfähigkeit war absolut ansteckend und erstreckte sich auf viele Aktivitäten: Boot fahren, fotografieren und insbesondere auf das Spielen, z.B. von Backgammon, Blitzen, Doko und Reversi.
Ende der 90er Jahre ließen sie und Michael Ehrke sich scheiden. Sie heiratete Frank Hegeler und bekam ihre Kinder Niklas (2000) und Laura (2003). Auch damit die Kinder im Grünen aufwuchsen, zog die Familie nach Nusse. Dort begeisterte sie sich für die Haltung diverser Tiere: Meerschweinchen, Fische, einem Pferd und zuletzt kamen noch zwei Hunde (Zaro und Neila) dazu. Die Erziehung der widerspenstigen Tiere war etwas mühsam. Anja hatte bis dahin keinerlei Halter-Erfahrung.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir relativ wenig Kontakt: Ich war bei meiner Arbeit sehr eingespannt, und Anja lebte ihr Leben auf dem Lande mit ihrer Familie. Schachlich war ich inzwischen zu schlecht für die HSK-Damen Bundesligamannschaft, während Anja immer noch regelmäßig spielte. Unsere Kontakte reduzierten sich daher auf seltenes, gemeinsames Doppelkopfspielen, Urlaub an der Ostsee, gemeinsame Silvesterfeiern und (mit den Hunden) spazieren gehen.
Mit ihrer Trennung von Frank zogen Anja und ihre noch minderjährige Tochter Laura wieder nach Hamburg. Ihr Sohn Niklas kam, nachdem er das Abitur gemacht hatte, hinterher. Ihr gelang das Kunststück, im Alter von 52 Jahren beruflich einen kompletten Neuanfang zu wagen: Sie fing bei der Freien und Hansestadt in der Steuerverwaltung bei der Programmierung an und suchte sich in Hamburg eine Wohnung (dabei halfen ihr ihre Energie und ihre Durchsetzungskraft. Das alles war -noch dazu mit zwei relativ großen Hunden – wirklich nicht einfach). Zeitgleich lernte sie ihren letzten Partner (erneut) kennen: Andreas Förster, den sie noch aus Kinderzeiten kannte und schätzte.
Wir beide hatten nun wieder regelmäßig Kontakt, spielten häufiger zusammen Doppelkopf und trafen uns zum Quatschen.
Ende 2018 erkrankte zunächst ich, zwei Monate später erkrankte auch Anja schwer. Erst sah es für mich so aus, als würde sie auch diesen Schicksalsschlag mit ihrer Kampfkraft besiegen. Sie verschwieg Vielen ihre gesundheitlichen Probleme, unterzog sich den notwendigen Operationen und lebte weiterhin als wäre nichts. Erst die zweite Diagnose führte dazu, dass sich ihr Leben sehr veränderte: Sie bekam langfristige Chemotherapien, und es ging ihr immer schlechter. Auch jetzt kämpfte sie weiter, arbeitete, machte Kuren und Therapien und kümmerte sich um ihre Kinder und um die Hunde.
2021 zog ihre Tochter nach Heidelberg um zu studieren. Zu diesem Zeitpunkt war Anja bereits sehr schwer krank, weigerte sich aber weiterhin, die Ernsthaftigkeit der schweren Krankheit anzuerkennen. Sie schaffte es noch ein paar Mal, mit ihrem Lebenspartner Andreas zu verreisen und dieses zu genießen. Erst Ende 2022 gewann die Erkrankung so sehr die Oberhand, dass Anja das Bett nicht mehr verlassen konnte. Es fiel ihr sehr schwer einzusehen, dass sie diesen Kampf nicht weiterkämpfen sollte, und sie willigte ein, sich nur noch palliativ behandeln zu lassen. Heiligabend verstarb sie im Krankenhaus Wandsbek.
Regina Berglitz
Leider haben wir im HSK-Archiv keine gemeinsamen Fotos von Anja Hegeler und Regina Berglitz aus den 80er Jahren, z. B. von der Olympiade in Dubai, gefunden. Wir möchten uns aber herzlich bei Gerhard Hund, Annette Borik, Regina Berglitz, Torsten Szobries, Georgios Souleidis, Klaus Steffan und Andreas Albers bedanken, die mit ihren Fotos helfen, die Erinnerung an Anja Hegeler wachzuhalten, die seit ihrem 10. Lebensjahr Mitglied im Hamburger Schachklub war: