Angeregt von Nils, gilt es ein Schachturnier für Obdachlose in der Tagesaufenthaltsstätte in der Spaldingstraße zu organisieren. Tim, Hartmut und ich machen uns auf.
Wie vor Jahrzehnten hat Hartmut seine Karteikarten dabei und übernimmt die schachliche Organisation von vier Runden Schweizer System. Danach sollen die besten 16 ein K.-o.-System wie den Dähne-Pokal spielen. Gerechnet wird mit 32 Teilnehmern.
Nils schickt schon mal eine Teilnehmerliste. Ich treffe mich mit Manfred im Klub, um das Spielmaterial und die Uhren einzusammeln. Hartmut und Tim studieren die Bedienungsanleitung, damit alles reibungslos klappt am morgigen Mittwoch.
Wir sind kein bisschen sicher, was uns erwartet. Wie würden die Obdachlosen auf uns Etablierte reagieren? Können sie überhaupt so gut Schach spielen, dass ein Turnier möglich ist? Was erwarten sie von uns? Wie sollen wir auf Verstöße gegen die Schachregeln reagieren?
Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Es ist die Vorweihnachtszeit, das gibt mir Zuversicht. Alles wird gut gehen.
Jetzt ist es endlich so weit, wir treffen uns um 8.30 Uhr am Spiellokal. Nils erwartet uns schon, um 10 Uhr werden die Teilnehmer erwartet. Niedrigschwellig, ist die Devise.
Tatsächlich sind wir dann 12 Teilnehmer, viele Bretter und Uhren können wieder eingepackt werden. Im Laufe der ersten Runde erscheinen noch weitere Teilnehmer, Hartmut hat alles im Griff, Schweizer System ist offenbar sehr flexibel. Am Ende finden doch irgendwie 16 Spieler in das Turnier. Wir müssen immer wieder die Uhr erklären. Oder darauf hinweisen, dass auf Schachgebote reagiert werden muss.
Aber es ist sehr lustig und alle freuen sich.
Dann Mittagspause. Es gibt für jeden, auch für uns, Reis mit Hackfleisch ohne Schwein, aber lecker. Kaffee und Tee und Wasser gibt es permanent.
Nach einer Stunde beginnt jetzt das abschließende K.-o.-System.16 Spieler treten an, durchaus auch völlig andere als am Vormittag. In den bisherigen Partien hat sich gezeigt, dass Unbekannt, Jürgen, Istvan, Nils und Israel wohl die größten Chancen haben, hier heute zu gewinnen. Ja, in dieser Welt der Obdachlosen, gibt es nur Vornamen und manchmal noch nicht einmal die. Unbekannt lebt schon seit 20 Jahren in Hamburg, alle kennen ihn und finden seinen Namen Unbekannt völlig in Ordnung. Viele Rechte hat er wohl nicht, hier ist das für Niemanden ein Problem. Fotografiert werden will er nicht. Wir akzeptieren dies natürlich.
Eine recht lustige Episode ergab sich im Spiel um Platz 3: Istvan spielt stürmisch gegen Israel und steht klar auf Gewinn. Er greift permanent an und achtet nur nicht besonders auf seinen eigenen König und so passiert es. Istvan zieht und nun kann ihn Israel 1-zügig mattsetzen. Wie vom Blitz getroffen erkennt Istvan seinen Fehler, ergreift die gegnerische Dame und setzt sich selbst matt und gratuliert dann seinem Gegner. Alle lachen und freuen sich.
Und dann tatsächlich: im Endspiel treffen Nils und Unbekannt aufeinander. Die Partie verläuft lange ausgeglichen. Bis es Unbekannt gelingt mittels Schlagen im Vorübergehen eine Figur zu gewinnen. Nils kannte diese Regel gar nicht. Oberschiedsrichter Hartmut klärt ihn auf, Nils ist zufrieden und fügt sich in sein Schicksal.
Zur Siegerehrung tischt Organisator Nils dann ordentlich auf. Vom Gabentisch dürfen die Spieler nacheinander jeder etwas nehmen. Zunächst der Sieger Unbekannt, dann Nils, der aber als Organisator verzichtet, dann der Drittplatzierte Israel vor dem Vierten Istvan. Schließlich bekommen alle Teilnehmer einen Preis.
Auch Hartmut, Tim und ich bekommen eine Dankesschokolade.
Das war sehr schön, alle waren begeistert. Auf eine Wiederholung im nächsten Jahr!
Bericht auf der Homepage von Fördern und Wohnen.