Wie immer hochmotiviert, strömten wir aus Amsterdam, Braunschweig, Groningen und Hamburg zum ersten Kräftemessen der Saison nach Remagen. Ein malerischer Ort unmittelbar am Rhein in der Nähe von Bonn. Auf uns warteten gleich zwei Aufstiegskandidaten, der SC Remagen-Sinzig, der unter anderem mit Schachlegende Vassily Ivanchuk bereits viele Jahre in der Bundesliga verbracht hat, und der SV Hofheim. In dieser Saison können wir uns über einige Verstärkungen aus der HSK-Jugendarbeit freuen: mit Henning Holinka, Bahne Fuhrmann und Faris Avdic sind gleich drei starke und erfolgshungrige Spieler neu im Kader. Außerdem ist Malek Koniahli in Hamburg angekommen und hat zum Glück den Weg in den HSK gefunden! An diesem ersten Liga-Wochenende feierten FM Malek Koniahli und FM Henning Holinka ihr erfolgreiches Debüt in der 2.Bundesliga. Für die Mannschaft spielten zudem Sipke, Nikolas, Nico, Merijn, Jakob und Tom.
Nach einer für den Großteil der Mannschaft problemlosen Anreise am Freitagabend ging es am Sonnabend ausgeruht und gut vorbereitet in den Saisonstart gegen den SV Hofheim. Die erste kleine Überraschung war, dass der SV Hofheim von den an 1 bis 5 in der Meldeliste gesetzten GMs nur einen einsetzte. Dadurch wurde aus der erwarteten Begegnung mit klarem Favoriten ein Duell auf Augenhöhe.

An Brett 1 entwickelte sich bereits nach wenigen Eröffnungszügen zwischen Sipke und GM Marin Bosiocic eine ungewöhnliche Struktur, in der Weiß einen Raum- und Entwicklungsvorsprung hatte, aber die schlechtere Struktur. Es war nicht ganz klar, wie man diese Faktoren in sichtbaren Vorteil ummünzen konnte. So verbrauchte besonders Sipke viel Zeit, übersah mit wenig Zeit auf der Uhr leider einige clevere Ressourcen des starken kroatischen Großmeisters und verlor. 0-1
An Brett 2 konterte Nikolas die katalanische Eröffnung seines Gegners mit einer langen Theorievariante aus, in der das interessante Ungleichgewicht darin bestand, dass Schwarz bei Anwesenheit aller Schwerfiguren und nach vielen Vereinfachungen mit einem Springer und Weiß mit seinem schwarzfeldrigen Läufer übrigblieb. Nikolas schaffte es, mit den verbliebenen Figuren einige Drohungen gegen die geschwächte weiße Königsstellung aufzustellen und gewann taktisch relativ schnell. 1-1.


Nico hatte im Alapin-Sizilianer an Brett 3 die ganze Partie über Raumvorteil und leichten Druck. Im Endspiel gelang es ihm, durch überlegene Königsaktivität und schon weiter vorgerückte Bauern, den Vorteil entscheidend auszubauen und den vollen Punkt einzufahren, 2-1.
Ich geriet an Brett 4 gegen GM Ante Saric im Mittelspiel in eine etwas passivere Stellung, in der wir beide unsere Chancen auf Vorteil hatten, diese aber verpassten und uns in einem Endspiel ohne mögliche Bauernhebel auf die Punkteteilung einigten. 2,5 – 1,5.
Merijn spielte an Brett 5 gegen die etwas provokative Kan-Variante der sizilianischen Verteidigung mit frühem Lc5 des Veteran GM Gennadi Ginsburg zunächst stark, fand jedoch einmal nicht den besten Zug, sodass der Vorteil peu à peu versandete. Merijn tat sich aber nicht schwer, in etwas unangenehmerer Stellung richtig zu verteidigen, sodass die jeweils Erfahrensten sich in einem Turmendspiel mit 3 vs 3 Bauern auf einem Flügel bald die Hände schütttelten. 3-2.
Unser erster Debütant Malek spielte gegen GM Womacka gewohnt furchtlos und in aggressiver Manier eine zweischneidige Partie in der klassischen Variante der sizilianischen Verteidigung.
Nach einem Leichtfiguren-Abtausch auf d5 ergab sich eine typische Struktur, in der Weiß versucht, seine Bauernmehrheit am Damenflügel zu verwerten und Schwarz durch Bauernüberzahl im Zentrum bzw. am Königsflügel einen Gegenangriff startet. Zunächst machte GM Womacka dabei vieles richtig, bis er in dieser Stellung
aber fehlgriff. Mit 24.f4? spielte er zwar den richtigen Bauern, allerdings ein Feld zu weit vor. Nach dem mit Abstand besten Zug 24.f3! wäre der Bauer e4 einfach verloren gegangen und Weiß stünde glatt auf Gewinn. Sehen musste Weiß dafür, dass nach 24…Se5 25.fxe4 Txc4 26.exf5 Txf5 27.De3! ein Doppelangriff auf den Bauern h6 und den Turm auf c4 besteht. Nach diesem Fehltritt des deutschen Großmeisters kam Malek zurück in die Partie, suchte aufmerksam seine Kontermöglichkeiten und gewann die Partie schließlich im Endspiel mit jeweils Turm und Springer. Stark! 4-2.
Jakob startete in seine Partie gegen IM Arno Zude mit etwa besserer Stellung aus der Eröffnung. Leider überschätzte Jakob im frühen Mittelspiel sein Angriffspotenzial ein wenig und die Stellung wurde schnell wieder ausgeglichen. Die Partie dynamisierte sich, als Zude einen Bauern in der Hoffnung auf vernichtenden Königsangriff opferte. Diesen bekam er auch, übte ordentlichen Druck aus und gewann schlussendlich die Partie. 4-3.

Unser zweiter Debütant Henning ging als klarer Favorit in seine Partie gegen seinen 16-Jährigen Gegner (ELO 2038). Konzentriert und geduldig überspielte Henning seinen Gegner in einer strategisch angelegten Partie langsam und fuhr wie Malek mit seiner ersten Partie in der zweiten Bundesliga gleich den ersten Sieg ein. 5-3 Endergebnis. Sehr schön!
Für uns war es besonders schön, dass auch wir als Zweitligisten nun das Glück hatten, in einem einheitlichen Mannschaftsdress spielen zu können. Die schicken neuen Trikots und Jacken unseres Sponsors Norbert Sehner machen Spaß und stärken unseren Teamgeist.
Gefeiert und genossen haben wir den Sieg bei einem entspannten Abendessen am Rhein und einem anschließenden kurzen Besuch im örtlichen Irish Pub.
Am Sonntag ging es dann ausgeschlafen und motiviert, wenn auch nicht so gut vorbereitet wie am Vortag, gegen die etwas stärkeren Gastgeber.
Sipke spielte gegen das Keymer-System des polnischen GM Teclaw ambitioniert und aktiv. Jedoch fand Teclaw leider einige Züge nacheinander die stärksten Verteidigungszüge, sodass sich Sipkes Initiative selbst nach einem starken Qualitätsopfer nicht in eine Gewinnstellung verwandelte. 0,5 – 0,5.

Nikolas handelte sich gegen den ungarischen GM Prohaszka in der Struktur der hängenden Bauern leider früh eine schwächere Bauernstruktur ein und stand den Großteil der Partie unter Druck. Doch er verteidigte sich hartnäckig und wurde nach mehr als 5 Stunden mit der Punkteteilung belohnt. Zum Ende dieser Partie war es eine erfreuliche Überraschung, dass die GM Jan Gustafsson, Niclas Huschenbeth und Gabor Papp aus HSK 1, die im nicht allzu weit entfernten Heimbach die ersten Runden der Bundesliga bestritten, vorbeikamen und Nikolas zumindest bildlich, hinter der Zuschauerbegrenzung, den Rücken stärkten. 1-1.
Nicos Partie an Brett 3 gegen seinen Landsmann GM Koen Leenhouts entflammte bereits in der Eröffnung, als sich die Parteien für eine scharfe Variante in der Ragozin-Verteidigung entschieden. Eine Partie mit beiderseitigen Chancen mündete letztlich aber in einem Damenendspiel mit Dauerschach, nachdem die jeweiligen gefährlichen Freibauern abgetauscht wurden. 1,5 – 1,5.

In meiner Partie gegen den jungen belgischen IM Maerevoet hatte ich nach einem zweifelhaften Zug meines Gegners im beschleunigten Drachen einmal die Möglichkeit, eine klar bessere Stellung zu erreichen. Leider entschied ich mich nur für den zweitbesten Zug und nach energischen Zügen meines Gegenübers einigten wir uns im 31. Zug auf Remis. 2-2.

Merijn spielte mit Schwarz an Brett 5 gegen den polnischen Routinier GM Lukasz Cyborowski eine eher harmlose Partie, die nach Tausch der Zentrumsbauern und einer nun entstandenen völlig ausgeglichenen Stellung friedvoll endete. 2,5 – 2,5.
Ähnlich tat es ihm Malek an Brett 6. Malek ließ es gegen GM Jaracz eher ruhig angehen und auch hier teilte sich der Punkt vor bevorstehenden Abtauschen und nach 17 Zügen. 3 – 3.
Bleiben noch Jakob und Henning.
Jakob und sein Gegner IM Vandenbussche lieferten sich in einem Anti-Sizilianer ein positionelles Gefecht, in dem der Belgier Jakob immer neue Fragen stellte, von denen Jakob die meisten jedoch richtig beantwortete. Leider spielte Jakob insgesamt aber etwas zu passiv, sodass sich Weiß am Ende durchsetzte. 3-4.

Hennings Partie an Brett 8 schipperte im ruhigen italienischen Fahrwasser zunächst so daher, bis Henning genau den richtigen Moment abpasste, seinen Springer nach f5 zu stellen. Nach Abtausch eines Turmpaars, dreier Leichtfigurenpaare und jeweils einem Zentrumsbauer stand die schwarze Dame etwas im Abseits und es ergab sich diese Stellung:
Henning hat sich eine klar bessere Stellung erarbeitet, allerdings bleibt dieser große Vorteil nur mit einem Zug bestehen. 23. Dc3! nutzt das Momentum und nimmt den Bauern c6 aufs Korn, den Schwarz dank der kurzfristigen Damen-Abstinenz nicht decken kann. Nach 23…Tc8 24.Lxb5 ist die Stellung schon so gut wie gewonnen, auch wenn Schwarz sich natürlich noch etwas wehren kann. Nach 23.d5?! allerdings gewann Henning zwar einen Damenflügelbauern, erlaubte aber dem schwarzen Springer (via f6 und e4) auch die rechtzeitige Rückkehr zum Geschehen. So kam es hier kurz darauf zur Zugwiederholung und Remis. 3,5 – 4,5.
Zu Buche steht neben einer knappen Niederlage also auch ein Kampf, der genauso gut in unsere Richtung hätte kippen können. Wir konnten auch gegen die starken Remagener gut mithalten und sehen dieses Wochenende als gelungenen Saisoneinstieg. Besonders schön ist, dass wir mit Malek und Henning nun zwei junge Spieler im Team haben, die beide schon erfahren sind, nicht vor großen Titeln oder Namen zurückschrecken und das Team definitiv bereichern.
Danke sagen möchte ich bei den Remagenern für eine angenehme Ausrichtung mit üppiger Verpflegung und unserem Sponsor Norbert Sehner, in dessen neuen Trikots wir sehr gerne auch vor und nach den Kämpfen herumgelaufen sind.
Auf eine weiterhin erfolgreiche und, was den Abstiegskampf anbelangt, hoffentlich sorglose Saison!
PS: Jede/r, die/der die Partien noch einmal nachspielen oder analysieren möchte, kann sie sich hier einfach runterladen: https://ergebnisdienst.schachbund.de/bedh.php?liga=2bln.
IM Tom-Frederic Woelk