Vier Spielberichte und ein DSOL-Fazit
Im neuen Format Onlineliga mit Viererteams spielten für HSK 2 (nur die eingesetzten Spieler)
1. GM Thies Heinemann (2505), 2. Norbert Sehner (2228), 3. Stefan Schnock (2019), 4. Bettina Meyer (1878), 5. Simon Meyer (1735), 6. Helge Colpe (1995) (an letzter Stelle weil nachgemeldet).
Die Wertungszahlen, auch im weiteren Text, sind sämtlich DWZ.
Vorab möchte ich anregen, ein entspannteres Verhältnis zu Fehlern zu entwickeln. Dazu zwei von Dr. Savielly Tartakowers Aphorismen: "Die Fehler sind alle schon da – sie warten nur darauf, gemacht zu werden", und "Das Schach ist nur durch die Fehler existenzberechtigt." Sport, egal welcher, wäre ohne Fehler tot. Menschen machen Fehler, sonst wären sie Maschinen. So sind die Fehlerbesprechungen in den Berichten und Partiekommentaren nicht als Kritik oder gar Vorwurf zu verstehen. Vielmehr möchte ich den Lesern zeigen, was in den Stellungen drin war, aber unter den speziellen Spielbedingungen nicht gesehen werden konnte.
Unsere Gegner in der 1.Liga Gruppe B waren SG Porz 1, SC ML Kastellaun 1, SK Ettlingen, Hamelner SV 1, SG Solingen, SC Diogenes (Hamburg, sozusagen unser Lokalrivale) und der SC Garching.
Eine bunte Mischung aus Klein- und Großstädten, Garching zog allerdings sein Team kurz vor Start zurück.
Von den verbleibenden Sieben hatte Köln-Porz die mit Abstand stärkste Rangliste; und sie wurden ihrer Favoritenrolle auch gerecht, gewannen die Staffel überlegen mit 12:0 MP und 20½:3½ BP !
Wir hatten mit einem Remis und zwei Niederlagen einen denkbar schlechten Start. In der zweiten Hälfte lief es dann wesentlich besser: durch drei Siege in Folge kletterten wir noch vom vorletzten auf den dritten Platz.
Besonders enttäuschend waren zur Halbzeit die Kluft zwischen unserem Tabellenplatz und DWZ-Schnitt sowie die Erkenntnis, daß für uns das Turnier nach der Vorrunde bereits zu Ende sein dürfte.
Die Kluft zwischen Platz und DWZ-Schnitt erwies sich bei näherem Hinsehen als irreal. Die DSOL hatte bei den Schnitten nur die Ranglistenplätze 1-4 berücksichtigt. Das war jedoch an der Realität vorbei gedacht, denn alle Teams setzten auch regelmäßig die unteren Spieler ein. Und während einige Klubs mit ziemlich homogenen Teams antraten, hatte unsere Rangliste ein vergleichsweise starkes Gefälle: unser GM an eins, mit Norbert noch ein Zweitligaspieler an zwei, aber dann nur noch Stadtliga. Insofern können wir mit dem dritten Platz zufrieden sein.
Am Aus nach der Vorrunde gab es jedoch nichts zu rütteln. Bei den nur noch sechs Runden war es so gut wie ausgeschlossen, mit 1:5 MP noch den zum Weiterkommen notwendigen zweiten Platz zu erreichen.
Die erste Runde war ein Triumph von Murphy's Law, sehr begünstigt durch schlampiges Programmieren.
Quer durch alle Ligen häuften sich die Aussetzer der noch unausgereiften ChessBase-Software.
Wir spielten gegen Solingen. Alexander an vier konnte trotz Eva-Marias fachkundiger Hilfe – ohne die wir nicht mal den Kampf hätten starten können - nicht rechtzeitig den Turnierraum erreichen, und wir lagen zurück. Danach fuhr Alexander in Urlaub und entdeckte nach seiner Rückkehr einen Virus auf seinem Rechner. Damit fiel er ganz aus und ist auch in obiger Spielerliste nicht genannt.
An drei zeigte sich Bettina von der 136 Punkte höheren DWZ ihres Gegners nicht sonderlich beeindruckt. Einige Zeit blieben die Chancen verteilt, doch im fortgeschrittenen Mittelspiel behielt Bettina den besseren Durchblick, machte den berühmten Fehler weniger und brachte schließlich das gewonnene Endspiel sicher nach Hause – Stand nun 1:1.
Also mußte der Kampf an den vorderen Brettern entschieden werden. Doch das wurde, wie gesagt, von der Steuersoftware durchkreuzt, die plötzlich mehr sein wollte als bloßes Werkzeug (hätten die ChessBase-Nerds Humor, hätten sie das Programm vielleicht HAL 9000 genannt). An eins hatte Solingens Jan Hobusch die Partie mit weiß von Anfang an auf Remis angelegt. Er eröffnete mit dem Schlafmittel Londoner System, konnte in der Folge Fehler und größere Schwächen vermeiden (was bei dem spannungsarmen Partieverlauf aber nicht allzu schwer war), und schaffte es so, die Partie vom 1. bis zum 36. Zug in der Remisbreite zu halten. Er war also drauf und dran, unserem 300 Punkte stärkeren GM ein Remis abzuluchsen. Doch die launische Software hatte etwas dagegen und brachte den Server dazu, Hobusch mehrfach rauszuwerfen. Währenddessen stand Norbert an zwei wohl deutlich schlechter, aber noch nicht auf Verlust.
Auf den Brettern sah es also gut aus für Solingen. Aber beide Teamleitungen waren mittlerweile derart genervt von den Tücken der elektronischen Turnierleitung, daß sie per Chat zwei Schwarzsiege und damit ein 2:2 verabredeten. Thies bekam so eine Eins, Norbert leider eine Null. Unter den Umständen ging das in Ordnung, mit Schachsport hatte das allerdings nicht mehr viel zu tun.
Hamburger SK II | 2 | − | 2 | SG Solingen | |
1. | GM Thies Heinemann (2505) | 1 | : | 0* | Jan Hobusch (2204) |
2. | Norbert Sehner (2228) | 0 | : | 1* | Stephan Borchert (2117) |
3. | Bettina Meyer (1878) | 1 | : | 0 | Dr. Anton Hannewald (2014) |
4. | Alexander Fomenkov (1878) | - | : | + | Stefan Speck (1913) |
*abgesprochen |
Als Folge der Pannenhäufung beschloß die DSOL-Leitung, eine Pause von einer Woche einzulegen, um so ChessBase genügend Zeit zu geben, die Software zu korregieren. Die zweite Runde wurde hinter die letzte reguläre Runde versetzt, so blieb der restliche Zeitplan erhalten. Eine sicherlich allgemein begrüßte Einsicht – noch wünschenswerter wäre es allerdings gewesen, wenn die Turnierleitung angesichts der vielen irregulären Ergebnisse die erste Runde annulliert und das Turnier nach der Reparatur neu gestartet hätte.
Unseren zweiten Kampf (3.Runde) hatten wir gegen den SK Ettlingen. Ihre Erste spielt in der Oberliga Baden, (wie bei uns 3. Liga); Ettlingen hat rd. 40.000 Einwohnern und liegt an der südlichen Peripherie von Karlsruhe.
Berliner wie Hamburger schauen gern auf Menschen aus kleineren Städten herab. Doch spätestens die Mannschaftsaufstellungen zeigten uns, daß mindestens in unserer Begegnung derlei Metropolenarroganz völlig unangebracht war: während wir mit einem DWZ-Schnitt von 2087 aufliefen, brachten die Badener stolze 2247 auf den Platz. Der Grund ist einfach: unsere Spieler stammen (wie bei den anderen HSK-Teams auch) aus verschiedenen regulären Mannschaften in ganz unterschiedlichen Spielklassen. Viele HSKler, vor allem aus den höheren Klassen, haben offenbar wenig Interesse an dieser Turnierform. Ettlingen dagegen ist es gelungen, praktisch ihr komplettes Oberligateam für die DSOL zu gewinnen. Auf dieses Phänomen der ambitionierteren Kleinstadtklubs werde ich im Fazit unter dem Punkt "Schachdörfer" noch näher eingehen.
Trotz der DWZ-Differenz lief der Kampf anfangs gut für uns. Simon kam mit schwarz gut aus der Eröffnung, Bettina konnte trotz der enormen DWZ-Kluft von 380 (!) Punkten ihre Weißpartie locker ausgeglichen halten, Norbert hatte an zwei in der seltenen Englischvariante 1.c4 e5 2.g3 c6 zwar Schwarz das Zentrum überlassen, aber die weiße Stellung nach 15 Zügen war ohne Schwächen und so im Gleichgewicht.
Und an eins hatte es Thies mit einem der wenigen anderen Titelträger zu tun: IM Jonas Rosner spielt am Spitzenbrett der Oberliga Baden und hat in der unterbrochenen Saison bis jetzt 4 / 7 geholt, darunter ein Sieg über den ukrainischen GM Juri Solodovnichenko (Untergrombach, ELO 2574). Ein starker Gegner also, der aber in der Partie gegen uns trotz der weißen Steine überaus friedlich gestimmt war. In einer Art Pseudo-Damenindisch (1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3.g3 b5 4.Lg2 Lb7) unternahm er nicht einen Gewinnversuch, spielte dabei aber so solide, daß Thies keine Möglichkeit bekam, das Spiel spannend zu machen. So blieb die Partie bis zum 41. Zug in der Remisbreite !
Traditionelle Kämpfe an richtigen Brettern gewinnen oft in der zweiten Hälfte an Dramatik, und wie es scheint, ist das in der Onlineliga nicht anders. Leider kam diese Steigerung diesmal vor allem dem Gegner zugute.
Simon verpaßte seine Chance, sein Figurenspiel zu einem deutlichen Vorteil zu steigern; statt dessen ließ er eine Vereinfachung zu, die Weiß erst andauernden Druck und schließlich ein gewonnenes Endspiel brachte.
Bettina agierte noch unglücklicher. Erst stoppte sie vorteilhaft den schwarzen Königsangriff, nach weiteren Fehlern von Clemens Werner erlangte sie sogar eine Gewinnstellung. Doch kurz vor dem Triumph, einen so guten Gegner umzuhauen, versagten ihr entweder die Nerven, oder sie hatte schlicht zu viel Respekt vor dessen DWZ. Statt das relativ einfache Gewinnmanöver auszuführen, ließ sie den Ettlinger mit einem Dauerschach ins Remis entkommen.
Norberts bis dahin eher ruhige Partie wurde ab dem 20. Zug dank eines Fehler-Pingpong merklich lebhafter. Plötzlich gelang dem Badener der Einbruch in die weiße Stellung. Doch als Arnold im 30. Zug sogar den Sieg in die Hand bekam, vergab er ihn nur zwei Züge später. Nach wiederum zwei Zügen einigte man sich dann in nahezu ausgeglicher Stellung auf Remis.
In einer bis dahin einlullenden Partie geriet Thies mit zwei Fehlern im 41. und 45. Zug noch ernsthaft in Gefahr. Doch der Gegner war nett, griff auch 2x daneben und akzeptierte dann ein Dauerschach. Endstand 1½:2½.
Mit etwas mehr Glück resp. einer abgebrühteren Bettina wäre also eventuell ein 2:2 drin gewesen. Andererseits hätte dann Rosner vielleicht das in dem Fall nicht mehr ausreichende Dauerschach vermieden und nochmal genauer reingeschaut. Das Ergebnis geht also, auch hinsichtlich der DWZ-Kluft, so in Ordnung. Ein Trost noch ans Team: auch mit einem 2:2 hätte es, wie ein Blick auf die Abschlußtabelle (DSOL-Website) zeigt, nicht zum 2. Platz gereicht.
Hamburger SK II | 1½ | − | 2½ | SK Ettlingen | |
1. | GM Thies Heinemann (2505) | ½ | : | ½ | Jonas Rosner (2431) |
2. | Norbert Sehner (2228) | ½ | : | ½ | Max Arnold (2319) |
3. | Bettina Meyer (1878) | ½ | : | ½ | Clemens Werner (2257) |
4. | Simon Meyer (1735) | 0 | : | 1 | Daniel Volz (1979) |
Über die beiden Kämpfe Porz 1 2½:1½ HSK 2 und Diogenes 1½:2½ HSK 2 hatte ich bereits in früheren Artikeln berichtet. Bleibt noch nachzutragen, daß wir selbst gegen die scheinbar übermächtigen Porzer eine gute Chance gehabt hätten, wäre nicht der Termin in die Haupturlaubszeit Mitte Juli gelegt worden. Aber so kam Thies nicht dazu, sich mit dem starken IM Christian Braun zu messen, und verbrachte den Tag hoffentlich an einem netten, erholsamen Ort.
Weiter geht's also mit den letzten beiden Kämpfen Hameln 1 : HSK 2 und Kastellaun 1 : HSK 2.
Der Hamelner SV, gegründet 1920 (Glückwunsch zum 100. !), ist seit Jahrzehnten einer der führenden Schachklubs in Südniedernachsen; und seit langem gehören sie zum festen Kern der Oberliga Nds.-Bremen. Aber anders als der ebenfalls in der Dritten Liga spielende SK Ettlingen mußte Hameln bei ihrer DSOL-Rangliste auf zwei ihrer besten Spieler verzichten, gegen uns waren sie zudem ersatzgeschwächt. Aber auch bei uns fiel mit Norbert ein guter Mann aus; so lagen die beiden DWZ-Schnitte mit 2051 (Hameln) und 2064 (HSK 2) ziemlich nah beieinander, was einen spannenden Kampf versprach. Tatsächlich konnten sich weder Zuschauer noch Spieler über einen Mangel an Spannung beklagen: drei Partien endeten anders, als man es bei Halbzeit wohl vermutet hätte. Zwei davon drehten sich in der Zeitnotphase sogar um 180° - der reinste Nägelbeißer vor allem für die Zuschauer, die nicht in das zunehmende Chaos eingreifen konnten.
Helge hatte an vier die einzige halbwegs normal laufende Partie erwischt. Wie üblich hatte er sich mit weiß friedfertig aufgebaut (wieder so ein d4/c4/e3 Zeug) – was den Vorteil hatte, daß sein Gegner Jonas Möller nach der Eröffnung offenbar an nichts Böses mehr glaubte und eine Falle Helges im 21. Zug für einen Bauerneinsteller hielt. Nachdem er den Köder verspeist hatte, bekam Helge einen so starken Königsangriff, daß Schwarz ihn nur unter Figurenverlust abwehren konnte. Zwar bot das Endspiel noch eine kleine Komplikation in Form zweier verbundener schwarzer Freibauern, doch Helge löste die Aufgabe souverän.
An zwei hatte der Hamelner Kai Renner mit Weiß in einem eigentlich spannungsarmen Spanier im 15. Zug Stefan Schnock zu einem Figureneinschlag provoziert und dann, anstatt den Bauernverlust zu akzeptieren, mit der Annahme des Opfers Schwarz eine Gewinnstellung geschenkt. Leider zog Stefan dann zu schnell und gab, anstatt mit einem cleveren Manöver den Vorteil zu sichern, nur zwei Züge später alles zurück. Danach driftete die Partie allmählich ins remisliche Damenendspiel. Doch als um den 33. Zug die Zuschauer wohl mit der Punkteteilung rechneten, begann Weiß, die eigentlich unverlierbare Stellung noch peu à peu zu ruinieren. Natürlich fand auch Stefan nicht immer das Beste, aber Weiß verpaßte selbst seine letzten Remischancen. Im 68. Zug hatte Stefan es endlich geschafft, er erzwang die Abwicklung in ein gewonnenes Bauernendspiel. Weiß spielte zwar sinnloserweise noch 12 Züge weiter, was am Ergebnis aber nichts änderte. 2:0 für HSK 2.
Das war schon ganz nett, die wahren Achterbahnen wurden aber an den Brettern drei und eins geboten.
Andreas Poschadel – Simon Meyer begann harmlos mit der verzögerten Abtauschvariante im Spanier. Im 12. Zug öffnete Simon dann leichtfertig die h-Linie, was Weiß mangels schwarzem Gegenspiel dauernden Vorteil gab. Nach gut 20 Zügen hatte sich das Brett etwas gelichtet. Weiß kontrollierte mit seinen Türmen immer noch die einzige offene Linie, und es war nur noch je eine Leichtfigur übrig geblieben: ein weißer Riesenspringer und eine schwarze Kröte, die nur aussah wie ein Läufer. Es war eine Stellung, bei der ein Betrachter vielleicht nicht sofort den konkreten weißen Gewinnweg zeigen kann, aber sicher ist, daß Weiß irgendwie siegen muß – vorausgesetzt, er hat einen Plan. Er hatte aber keinen, zog bald nur noch hin und her. Ab Zug 38 lieferten sich die Kontrahenten einen Fehler-Pingpong, bei dem Weiß nicht nur seinen Monstergaul gegen den schwarzen Großbauern tauschte, sondern auch vier klare Gewinnchancen ausließ. Im 56. Zug hatte Simon dann endlich Ausgleich. Doch anstatt Frieden zu schließen, krönte Weiß die Fehlerserie mit dem einzügigen Einstellen des Turms. Zum Glück hatte ein schwarzer Bauer die vorangegangene Klopperei überlebt, mit ihm gewann Simon nun mühelos die auf den Kopf gestellte Partie. Damit führten wir 3:0.
Thies hatte in den ersten Kämpfen sehr solide gespielt, d.h. er stand bis zu den Zeitnotphase nie schlechter, hatte aber auch keine Gewinnchancen. Doch bereits gegen Diogenes hatte er gezeigt, daß er auch ganz anders kann: volles Risiko, mit offenem Visier auf den Gegner losgehen. Selbst wenn man dabei kurzzeitig analytisch auf Verlust steht, macht das meistens nichts. Denn der Gegner hat weder Zeit noch Engine zum analysieren; im Schnellschach kann man fast schon damit rechnen, daß dem Gegner im entscheidenden Moment die für den oft versteckten Gewinnweg notwendige Kombination von Spielstärke, Idee und Ruhe fehlt.
Gegen Hameln spielte Thies erneut zuschauerfreundlich, d.h. er bot uns wieder so eine scharfe Partie wie gegen Diogenes. Tragisch nur für ihn und uns, daß es diesmal umgekehrt lief: Thies griff früh an, stand längere Zeit auf Gewinn, doch am Ende holte sein Gegner Ulrich Schwekendiek den Punkt.
Letzterer hatte mit schwarz eine dubiose Variante in einer ohnehin passiven Eröffnung gewählt und stand so nach nur 10 Zügen schon klar schlechter. Nur fünf Züge später hatte Thies schon den Gewinn auf dem Fuß – doch das wäre dann schon ein Kunstschuß gewesen, etwa so wie Zlatan Ibrahimovics Fallrückzieher 2013. Im Schnellschach braucht ein Mensch dafür wohl eine eingebaute Engine (ein Schach-Cyborg sozusagen).
Dennoch stand Thies weiter auf Gewinn, doch irgendwie war es nicht sein Tag: erst verpaßte er in den nächsten 10 Zügen mehrere Matchbälle, und dann gab er im 25. und 28. Zug allen Vorteil zurück. Zudem hatte das komplizierte Mittelspiel Weiß zu viel Zeit gekostet: in der eigentlich ausgeglichenen Partie hatte Schwarz noch etwas über 20, Thies dagegen nur noch ca. drei Minuten. Bald stand ein Turm-Springer-Endspiel auf dem Brett, und Thies hielt noch einige Züge gut mit, hatte dann aber zu wenig Zeit, um alle taktischen Tücken zu finden. So wurde die Partie schließlich von den schwarzen Freibauern entschieden.
Hamelner SV 1 | 1 | − | 3 | Hamburger SK II | |
1. | Ulrich Schwekendiek (2266) | 1 | : | 0 | GM Thies Heinemann (2505) |
2. | Kai Renner (2162) | 0 | : | 1 | Stefan Schnock (2019) |
3. | Andreas Poschadel (1912) | 0 | : | 1 | Simon Meyer (1735) |
4. | Jonas Möller (1863) | 0 | : | 1 | Helge Colpe (1995) |
Bleibt noch unsere verschobene 2. Runde, der Auswärtskampf gegen Kastellaun 1. Wegen der ChessBase-Bastelwoche war die Runde auf den 12. August verlegt worden. Kastellaun ist sozusagen der Superlativ unter den Schachdörfern (dazu mehr im Fazit): während die anderen, auch in den Parallelstaffeln der 1. Liga, wenigstens Kleinstädte sind, ist Kastellaun ein echtes Dorf resp. Verbandsgemeinde mit rd. 5.500 Einwohnern. Es liegt auch schön abgelegen: knapp 60km westlich von Mainz am nordöstlichen Ende des Hunsrück.
Im Schach jedoch sind sie offenbar alles andere als Provinz: dank Siegen über Ettlingen, Hameln, Solingen und Diogenes Hamburg (letztere wurden glatt mit 4:0 abgefertigt) hatten sich die Kastellauner bereits vor unserem Kampf den 2. Platz und damit die Zwischenrunde gesichert.
Wir hatten bei den DWZ-Schnitten einen gewissen Vorsprung: Kastellaun 2024, HSK 2 2122. Doch das wurde durch Norberts Disput mit der DSOL-Software schnell nivelliert, und an den restlichen drei Brettern lieferte uns Kastellaun eine lange ebenbürtigen Kampf, den sie mit besseren Nerven zumindest nicht verloren hätten.
Beginnen wir also mit Norbert. Er konnte sich mit der Kontrollsoftware nicht auf ein gültiges Passwort einigen. Unsere Troubleshooterin Eva-Maria brauchte eine halbe Stunde, Norbert doch noch den Zugang zum Turnierraum zu öffnen. Der aber war mittlerweile so enerviert, daß er sich im 1. Zug auf Remis einigte.
An vier spielte Simon gegen den starken A-Jugendlichen Paul Plum. (Überhaupt scheint der Verein, so erfährt man auf seiner Website, ziemlich aktiv im Jugendbereich zu sein, sie richten sogar Rheinland-Pfalz Meisterschaften aus - bemerkenswert bei einer so kleinen Bevölkerungsbasis)
Simon servierte mit der Greco-Variante eine italienische Spezialität aus dem 17. Jahrhundert. Als Schwarz im 9. Zug abwich, hätte Simon eine aussichtsreiche Initiative bekommen können. Doch diesmal war die Göttin nicht mit ihm. Fortuna meinte wohl, sie habe Simon gegen Köln-Porz und Hameln schon genügend beschenkt; statt dessen half sie dem Gegner, indem sie im entscheidenden Moment Simons Gedächtnis blockierte.
So stand er ab dem 12. Zug deutlich schlechter. Als ziemlich schnell auch noch Zeitnot dazukam, hatte Schwarz es leicht, den Druck zu verstärken, und er gewann im 27. Zug eine Figur. Sechs Züge später folgte noch eine Qualität, so blieb Simon nur die Kapitulation.
Besser erwischte es Stefan. In einer Nebenlinie des geschlossenen Sizilianers im Anzug (1.c4 e5 2.Sc3 g6) stand er als Schwarzer nie schlechter; und als sein Gegner Julius Ohler früh Remis bot, hatte Stefan den richtigen Riecher und lehnte ab. Schon bald verdarb Weiß mit einer Fehlerserie nach und nach seine Stellung. Schließlich erlag er noch einer taktischen Fata Morgana, was Stefan erlaubte, die Partie mit Matt zu beenden.
Zwischenstand 1½:1½, ergo entschied wieder Thies am Spitzenbrett den Kampf. Er hatte weiß gegen Kastellauns Besten, den ebenfalls noch jugendlichen Jan Boder. Die Partie macht den Eindruck, Thies habe mittlerweile Gefallen am Vabanquespiel gefunden; allerdings half diesmal die launische Software etwas nach. In der Eröffnung gingen beide sehr früh eigene Wege: eine eigenwillige Mischung aus Alapin-Sizilianer (2.c3) und frühem Fianchetto. Nach gerade mal fünf (!) Zügen hatte meine 6,8 Mill. Partien starke MB nur noch fünf Treffer zu bieten, darunter keine GM-Partie. Schwarz schien damit gut zurechtzukommen, vielleicht als Folge häuslicher Vorbereitung; jedenfalls vermochte er, die Partie trotz fehlender Theorie bis ins Mittelspiel nahezu im Gleichgewicht zu halten. Im 22. Zug gewann Thies die Qualität, was sich aber, als Boder schnell mehr als genug Kompensation bekam, als aussichtsreiches Opfer erwies. Damit nicht genug, ergriff nun auch die DSOL-Software Partei für Schwarz und warf Thies vom Server, was ihn wertvolle Minuten kostete.
(Wie es scheint, hatte ChessBase bei der Überarbeitung des Programms einen entlegenen Sektor übersehen – HAL 9000 lebte noch !)
Der schwarze Vorteil wuchs nun schnell, nach einem weißen Fehler im 28. Zug zeigte Stockfish bei 30 HZ bereits -4,1 an. Dabei muß man aber bedenken, daß es eine dieser Stellungen war, in der zwar der Engine nichts Taktisches verborgen bleibt, der menschliche Spieler aber (talentierte Jugendliche eingeschlossen) zunächst kaum mehr sehen dürfte als daß Schwarz für die Qualität einen starken Freibauern und lästigen Figurendruck hat. Zudem machte Schwarz ab nun den Fehler vieler junger Spieler: er blitzte munter mit, obwohl er noch weit mehr Zeit hatte. Trotzdem stieg der schwarze Vorteil noch, im 38. Zug erreichte die Partie den Gipfel schwarzen Vorteils sowie ihren dramatischen Höhepunkt: für die richtige schwarze Fortsetzung gibt die Engine -10,5 (!), außerdem hatte Thies nur noch 1½, Boder dagegen mehr als 20 Minuten Restzeit.
Nach menschlichem Ermessen war Weiß also erledigt. Doch wer nun abschaltete, verpaßte das Beste: trotz der Dauerzeitnot – Thies lebte praktisch vom 15 Sec/Zug Increment – rettete er die Partie nicht nur, er drehte sie auch noch komplett ! Zuerst übersah Boder den Gewinn, und im 42. Zug hatte Thies die Partie auch wieder im Gleichgewicht. Danach griff fast nur noch Schwarz daneben, wofür er merkwürdigerweise weit mehr Zeit verbrauchte als Thies. Im 56. Zug hatten beide nur noch rd. eine Minute auf der Uhr, und Weiß stand tatsächlich auf Gewinn. Es folgte noch ein längeres Gehacke, bis Thies schließlich im 79. Zug den Punkt eintütete. So haben wir den Kampf, den sicher Viele schon verloren gesehen hatten, noch 2½:1½ gewonnen.
Kastellaun 1 | 1½ | − | 2½ | Hamburger SK II | |
1. | Jan Boder (2160) | 0 | : | 1 | GM Thies Heinemann (2505) |
2. | Tim Pfrengle (2108) | ½ | : | ½ | Norbert Sehner (2228) |
3. | Julius Ohler (1978) | 0 | : | 1 | Stefan Schnock (2019) |
4. | Paul Plum (1848) | 1 | : | 0 | Simon Meyer (1735) |
DSOL-Fazit
Außerdem bot die DSOL noch zwei, wie ich finde, bemerkenswerte Phänomene.
Technik / Software
Zum Ärger der Betroffenen1 blieben jedoch die häufigen Verbindungsabbrüche (disconnected), die plötzlich und ohne Zutun der Spieler auftraten. Hier müssen DSOL resp. ChessBase unbedingt noch an der Zuverlässigkeit der Server arbeiten – bei lichess, chess24 und chess.com funktioniert’s ja auch.
Außerdem mußten wir (und sicher auch andere) uns mehrfach mit einem Fehler herumschlagen, den zwar aus der Sicht von PC-Experten i.d.R. der Anwender zu verantworten hat, der in seiner Auswirkung aber ein grundsätzliches Problem unserer famosen DSOL-Software aufzeigt. Es geht schlicht um die Verweigerung des Zugangs, wenn Spielername und/oder Passwort von der Website nicht akzeptiert werden. PC-Trainer mit Humor sagen dann gern, daß die Ursache des Problems einen halben Meter vor dem Monitor sitzt. Formal ist das zwar richtig, denn meistens hat in diesen Fällen der Anwender irgendwann die Zugangswörter geändert (PC-Ratgeber raten dazu, zumindest die Passwörter öfter zu wechseln), dann aber sich nicht die weniger griffigen neuen, sondern weiter die alten Wörter gemerkt. Aber alles wäre halb so wild, wäre die Software nutzerfreundlich. Wissen wir z.B. bei chess.com oder chess24.com unser Passwort nicht – kein Problem, ein Klick auf “Passwort vergessen ?”, dann gibt man seinen Spielernamen und E-Mail-Adresse ein, Sekunden später antwortet die Website, man fügt sein neues Passwort ein, und schon kann’s losgehen. Das nenne ich nutzerfreundlich. Die DSOL-Software dagegen erinnert leider an die Einführung der Live-Übertragung von Schachturnieren im Internet vor etwa 20 Jahren. Ausfälle waren an der Tagesordnung, einfach weil das System keine Fehler tolerierte. Ein falscher Zug oder ein falscher Tastendruck am Kontroll-PC, und das Programm stürzte ab, das Diagramm fror ein und blieb auch so. (Mir fällt da sofort “Starfighter-Syndrom” ein. Die Älteren werden sich noch erinnern, die Jüngeren haben, gute Geschichtslehrer vorausgesetzt, das Thema Starfighter-Affäre in der Schule behandelt2.) Es dauerte Jahre, bis die Live-Übertragungen akzeptabel liefen. Hätte sich das ein Fernsehsender mit Fußball erlaubt, wäre er im Nu erledigt gewesen.
Wird Zeit, daß sich die DSOL in puncto Benutzerfreundlichkeit an chess.com, chess24 oder lichess orientiert.
Strukturen / Turnierform
Die DSOL war von Anfang an als “Turnier in mehreren Ligen”3 geplant und sollte “dem regulären Spielbetrieb so nahe wie möglich kommen”. Hätten bis zu 100 Teams gemeldet, wäre sie daher wohl in jeder Liga als Rundenturnier durchgeführt worden. Mit 246 gemeldeten Mannschaften war das jedoch nicht mehr möglich, so wählte man einen von der Fußball-WM bekannten Modus: pro Liga Vorrundenstaffeln im Rundensystem, danach weiter im KO-System. Der Zeitplan wurde maximal gestrafft: zwischen Meldeschluß und Finale liegen nur gut 12 Wochen. Letzteres geschah vielleicht, um Spieler zu gewinnen, die von einer ausgedehnteren zeitlichen Verpflichtung abgeschreckt worden wären.
Diese Zeit- und Turnierstrukturen haben jedoch zwei Nachteile:
1) darf man die Aussagen “dem regulären Spielbetrieb so nahe wie möglich” und “… allen interessierten Vereinen die Gelegenheit geben, die Wartezeit zu überbrücken und wieder an Mannschaftswettkämpfen teilzunehmen.” wohl so interpretieren, daß es intendiert war, möglichst vielen Spielern zu ermöglichen, ein Mannschaftsturnier zu spielen. Es gibt wohl keinen, der diese Intention nicht begrüßt; sie wird jedoch durch den jetzigen Modus konterkariert, denn dabei sind drei Viertel der Teilnehmer nach der Vorrunde draußen, müssen beim zweiten Teil zugucken.
2) hat der geraffte Zeitplan auch zwei negative Folgen:
– es gibt kurzzeitige, aber innerhalb dieser Zeit den Betroffenen intensiv beanspruchende Verpflichtungen, z.B. Fortbildungen, Prüfungen incl. Vorbereitungen, Pflege kranker Verwandter. Fällt so etwas zeitlich mit der Vorrunde zusammen, ist für den betroffenen Spieler das ganze Turnier gelaufen;
– der kurze Zeitraum zwischen Ausschreibung und Meldeschluß ließ den Vereinsleitungen sehr wenig Zeit, ihre Mitglieder zu befragen. Entsprechend wurden, sicherlich nicht nur beim HSK, zum einen Spieler gemeldet, die gar nicht spielen wollten oder konnten, zum anderen Spieler nicht gefragt, die gern gespielt hätten.
Eine brauchbare Alternative wäre statt Vor- und Endrunde ein Schweizer System Turnier mit 9-11 Runden.
Zwei Varianten sind denkbar: a) die Ligaeinteilung wird beibehalten, je Liga ein Turnier Schweizer System;
b) die Ligaeinteilung wird aufgehoben, und es wird ein großes Schweizer System Turnier gespielt.
a) bleibt bei der herkömmlichen Klasseneinteilung mit einem Sieger pro Liga.
b) bietet, weil klassenlos, Underdogs den Reiz, wie bei anderen Swiss-Turnieren in den ersten Runden gegen Top-Gegner spielen zu dürfen – man denke nur an die exotischen Paarungen zu Beginn von Olympiaden.
Beide Varianten haben den großen Vorteil, daß alle Teilnehmer bis zum Schluß dabei sind.
Natürlich braucht ein Swiss-Modus einen weniger gedrängten Zeitplan. Erst nach dem letzten Kampf einer Runde kann die nächste Runde gelost werden. Wenn wir bei dem aus unserer HMM bekannten System mit Heim- und Auswärtsteams an Wochentagen bleiben – aus meiner Sicht spricht nichts dagegen – erfahren so die Teilnehmer nicht vor Freitag nacht oder Samstag morgen ihren nächsten Gegner, wer Heimrecht hat und, daraus folgend, an welchem Wochentag gespielt wird. Sie sollten daher pro Runde eine Woche Vorlauf für die Mannschaftsaufstellung haben. Und wenn der Zeitplan schon entzerrt wird, sollten die Vereine auch mehr Zeit für die Aufstellung der Ranglisten bekommen. Außerdem erlaubt ein gedehnterer Zeitplan Spielern mit o.g. kurzzeitigen Verpflichtungen, wenigstens einen Teil des Turniers mitzuspielen.
Regelwerk
Zunächst möchte ich das Increment positiv hervorheben. 15 Sekunden pro Zug mag für den Langzeitpartien gewohnten Spieler nicht viel sein, aber die Zugabe minimiert immerhin die Fälle von Zeitüberschreitung sowie die in Extremzeitnot unvermeidlichen groben Fehler.
Leider gibt es auch Punkte, die dringend geändert oder sogar gestrichen werden müssen.
An oberster Stelle weil häufig vorgekommen stehen die Regelungen zum Abbruch der Serververbindung, auch disconnect genannt. Im Normalfall4 geschieht dies ohne Zutun des betroffenen Spielers. Der Anwender ist also nicht Täter, sondern Opfer; wenn jemand verantwortlich ist, dann der Serverbetreiber im Falle zu schwachen oder fehleranfälligen Servers, oder die Softwarefirma, wenn beim Programm geschlampt wurde.
Bei der DSOL wird jedoch allen Ernstes das Opfer für die Panne bestraft, so heißt es im DSOL-Handbuch:
“Eine Partie hängt
Es kann vorkommen, dass eine Partie nach einem disconnect, einem vorübergehenden Verbindungsabriß, nicht wieder startet. Grundsätzlich kann der Server damit umgehen und die Zeit des Spielers, der einen Verbindungsabriß hatte, läuft weiter. Dieser Zeitverlust geht zu seinen Lasten.”5
Das ist so infam, daß es jedem, der noch über einen Rest an intaktem Rechtsverständnis verfügt, für einen Moment die Sprache verschlägt. Man muß dabei wissen, daß der Prozeß des reconnect etliche Minuten dauern kann; die jetzige Regelung also leicht zu starker Zeitnot oder gar Zeitüberschreitung führt.
Leider sind das nicht nur theoretische Überlegungen, lt. Website des SK Ettlingen ist ausgerechnet der für das Erreichen der Zwischenrunde entscheidende Erstligakampf Kastellaun 1 – Ettlingen durch eine solchermaßen entstandene ZÜ von Kastellaun 2½:1½ gewonnen worden6.
Wenn ein Disconnect akut auftritt, ist es müßig, nach der Ursache zu suchen (ob nun Programm oder Server versagt haben), dazu ist nach dem Spiel immer noch Zeit. Der laufende Kampf verlangt nach einer schnellen, aber auch rechtlich korrekten Behebung der Panne. Dazu ist es am sinnvollsten, Disconnect einstweilen als einen Fall höherer Gewalt zu betrachten und dann so vorzugehen, wie es jede vernünftige Turnierordnung bei höherer Gewalt vorsieht: Uhr anhalten, d.h. Partie unterbrechen. Wird die Panne während des laufenden Kampfes behoben, kann die Partie unverzüglich fortgesetzt werden. Sollte das Reconnect wider Erwarten länger dauern, kann man wie bei einer altmodischen Hängepartie die Fortsetzung der Partie zeitnah ansetzen.
Eine weitere Absurdität finden wir auf der DSOL-Website unter Ausschreibung in den “Regelungen für Anti-Cheating-Maßnahmen: … 2. Kontrolle der Partien.” Dort heißt es: “Während die Partien gespielt werden, werden diese durch eine Software des Serverbetreibers überwacht und kontrolliert. Eine besondere Bedeutung kommt dabei Taskswitches zu. Taskswitch ist das Aufrufen eines weiteren Programms während der Partie. Dabei spielt es keine Rolle, ob hier ein Zusammenhang mit Schach besteht. Taskswitches können einen Cheating-Verdacht begründen. Die Spieler sind daher verpflichtet, Taskswitches während der Partie zu unterlassen.”
Im Klartext: die DSOL-Leitung maßt sich an, Deinen PC, also Dich im Deiner Wohnung, zu überwachen; außerdem erdreistst sie sich, Dir zu untersagen, während der Partie auf dem PC irgendetwas anderes zu tun.
Ignorierst Du das, wirst Du selbst beim Starten eines schachfremden Programms verdachtigt zu betrügen.
Das ist nicht nur ein unverschämter Eingriff in unsere Privatsphäre, das ist bereits krank: Bespitzelung getrieben von Kontrollwahn gepaart mit Paranoia. Wir hatten das in Deutschland im 20. Jahrhundert zweimal, nannte sich Gestapo und Stasi. Ein drittes Mal braucht das keiner.
Oder, falls das jemandem zu politisch oder historisch ist, tut’s auch ein Vergleich aus unserem Alltag: Onlineschach hat viel mit Home-Office gemein. Beides sind aus der Not der Pandemie geborene Verlagerungen von festen Aktivitäten in die eigenen vier Wände; und beide haben, wenn sie sich bewährt haben, gute Aussichten, in der Postkoronazeit als Alternativen zur herkömmlichen Form weiter zu bestehen. Manche mögen Home-Office nicht, weil dort zu vieles von der Arbeit ablenkt. Wer aber zu Hause gut arbeiten kann, schätzt die Vorteile: man kann u.a. bei der Arbeit Dinge tun, die am herkömmlichen Arbeitsplatz einfach nicht gehen, z.B. Radio hören oder essen und trinken, was und wann man will.
Bestrafung des Opfers bei Disconnect und Betrugsverdacht bei Taskswitch – es ist höchste Zeit, daß dieser groteske Unsinn beendet wird. Bis 10. September läuft eine DSOL-Umfrage, in der wir aufgefordert werden zu äußern, was uns gefallen hat und was nicht. Nutzen wir die Gelegenheit: wenn genügend Teilnehmer hier die Respektierung ihrer Rechte einfordern, kann die DSOL-Leitung dies nicht ignorieren.
Genug des Ärgers, werfen wir nun noch einen Blick auf zwei erfreulichere DSOL-Besonderheiten.
Modus und Spielstärke – die Stunde der Underdogs
Bei uns machte Thies an Brett 1 die Erfahrung, daß vier Spieler mit um 235 bis 412 Punkte niedrigeren DWZ ihm dennoch beträchtliche Schwierigkeiten bereiten konnten. Andererseits schnitten Stefan, Bettina, Simon und Helge gegen Spieler mit bis zu 380 Punkten höheren DWZ weit über Wert ab.
Offensichtlich wirken die speziellen Spielbedingungen der DSOL – online und verkürzte Bedenkzeit – nivellierend auf Ratingdifferenzen, damit schlug die Stunde der Underdogs. Wie manche Menschen Probleme haben, sich beim Home-Office auf die Arbeit zu focussieren, dürfte auch die Fähigkeit, sich beim Onlinespiel auf die Partie zu konzentrieren, unterschiedlich verteilt sein. Ich vermute, daß jüngere, mit PC und Internet aufgewachsene Spieler hier Vorteile haben. Und 45 Minuten pro Spieler sind eine ziemlich seltene Bedenkzeit: zu kurz für Freunde der klassischen Turnierpartie, zu lang für Blitz- und Schnellturnierfans. Es könnte sein, daß jüngere, weniger erfahrene Spieler mit (noch) niederigeren DWZ flexibler als erfahrene Spieler sind bei der Umstellung auf ungewohnte Bedenkzeiten8 . Drittens fehlt beim Onlineschach ein Teil der psychologischen Wirkung der DWZ-Differenz: DWZ-Schwächere spielen am Monitor wahrscheinlich unbefangener als am Brett, wo die physische Präsenz des nominell Stärkeren zusätzlich einschüchtert.
Soweit meine Vermutungen. Egal, was davon zutrifft, für DWZ-Underdogs ist die DSOL ein Quell der Freude.
Schachdörfer
Dank der DSOL haben wir nun – zumindest im Onlinebereich – unsere eigenen Gummersbachs und Lemgos. Klubs und Orte, die vorher lediglich regional bekannt waren, erschienen plötzlich in der 1. Liga der DSOL und waren nun in ganz Schach-Deutschland bekannt – Schachdörfer eben.
Hauptursache dieses Phänomens ist das für die Ligenzuordnung gewählte Kriterium: dankenswerterweise ignorierte die DSOL-Leitung die herkömmlichen Klassenzugehörigkeiten, statt dessen wurde ausschließlich nach Leistung sprich DWZ-Schnitt eingeteilt. Und da in den Schachdörfern die Spitzenspieler offensichtlich größeres Interesse an der neuen Turnierform haben als ihre Kollegen in vielen Großstadtklubs, konnten die Kleinen bei den DWZ-Schnitten gut mit traditionellen Zweit- und sogar Erstligisten mithalten.
So kam es, daß in der 1. DSOL-Liga 12 der insg. 29 Teams9 aus Schachdörfern stammen. Damit nicht genug, sie stellen auch vier der acht Teilnehmer der Zwischenrunde. Hier eine Übersicht10 dieser neuen Schachdörfer.
DWZ-Ø | Spielklassse | Einwohner | Bundesland | |
Dinslaken | 2161 | OL NRW (3.) | 67.400 | NRW |
Ettlingen | 2158 | OL Bad. (3.) | 39.400 | B-W |
Herzogenaurach | 2126 | LL Nord (4.) | 23.400 | Bayern |
Gründau (Q) | 2069 | VL Nord (4.) | 14.600 | Hessen |
Lauffen/Neckar | 2043 | LL (4.) | 11.600 | B-W |
Landau/Pf. (Q) | 1998 | OL SW (3.) | 46.900 | Rhl.-Pf. |
Hameln | 1993 | OL NW (3.) | 57.400 | Nds. |
Kelheim | 1989 | RL NO (5.) | 16.800 | Bayern |
Kastellaun (Q) | 1981 | 2.Rh-PfL (5.) | 5.500 | Rhl.-Pf. |
Rinteln (Q) | 1965 | LL Süd (4.) | 25.400 | Nds. |
Hemer | 1909 | VL (6.) | 34.100 | NRW |
Biebertal | 1755 | VL Nord (4.) | 10.100 | Hessen |
(Q) = qualifiziert für die Zwischenrunde; für die DWZ-Schnitte wurden alle eingesetzten Spieler genommen. |
Persönliches
Zuerst ein großes Dankeschön an unsere Troubleshooterin Eva-Maria Zickelbein für ihre freundliche Hilfe und Geduld mit uns technischen Laien ! Hätte sie uns nicht kompetent zur Seite gestanden, wären wir einige Male hilflos der DSOL-Software ausgeliefert gewesen, z.B. hätten wir einen Kampf nicht gestartet bekommen.
Dann ein großes Lob an mein Team, präzise die sechs eingesetzten Spieler: mit ihrer Zuverlässigkeit und großen Einsatzbereitschaft machten sie die Leitung des Teams zu einem Vergnügen.
Und natürlich meinen herzlichen Dank an Christian Zickelbein – nicht nur für die viele geleistete Arbeit in der Vorbereitungsphase (vereinsinterne Um- und Nachfragen, Aufstellung der Teams, DSOL Zoom-Konferenzen und was sonst noch dazugehörte), sondern auch für die Nachmeldung von Helge Colpe, womit er uns einen wichtigen Goalgetter gab.
Schließlich möchte ich auch der DSOL-Leitung danken. Zwar habe ich sie weiter oben heftig angesprungen, aber wir sollten doch ihr Engagement und Leistung bei Vorbereitung und Durchführung des Turniers würdigen. Auch gehört Mut dazu, den Ärger über Pannen und Fehlfunktionen auf sich zu nehmen, die bei einem neuartigen Turnier mit noch unerprobter Technik nun mal auftreten können. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Verantwortlichen die kritisierten Punkte in Ordnung brächten und die Neuauflage der DSOL dann ein noch ungetrübterer Genuß wird.
Die DSOL war für unsere Spieler nicht nur eine neue, aufregende Form von Turnierschach. Sie erlaubt auch angstfreies, d.h. entspanntes Spiel, während uns, so lange das Virus grassiert, beim wieder anlaufenden herkömmlichen Spiel, ob nun bewußt oder unbewußt, ständig die Möglichkeit einer Infizierung belastet.
Aber auch als non-playing captain wurde ich von den DSOL-Matches bestens unterhalten – die Kampfverläufe waren manchmal etwas nervenzehrend, aber durch die Bank fesselnd wie ein guter Polit-Thriller. Es liegt wohl an der Zeit: den Spielern verlangte die ungewohnte Bedenkzeit eine erhebliche Umstellung ab, für die Zuschauer aber war sie ideal. 2×45 Minuten plus x Minuten Increment, also 90-120 Minuten, das ist in etwa die Länge eines Spielfilms. Und das Tempo der Partien bei dieser Bedenkzeit ist optimal für Zuschauer. Blitzpartien laufen so rasant ab, daß der Betrachter sich kaum Gedanken zu den dahinhuschenden Stellungen machen kann. Viele der langen Turnierpartien andererseits – man erinnere sich an Live-Übertragungen der Bundesliga – sind über weite Strecken so aufregend wie Kühen beim Wiederkäuen zuzuschauen. Manchmal geschieht eine halbe Stunde oder länger buchstäblich nichts, wenn ein Spieler lange über einen Zug brütet. Ein Grund übrigens, warum man als Zuschauer, der sich nicht langweilen will, erst zwei Stunden nach Beginn einer Runde kommen sollte. Bei der DSOL-Bedenkzeit dagegen hat der Zuschauer, von der Zeitnot abgesehen, genug Zeit, die einzelnen Stellungen zu beurteilen. Und selbst wenn ein Spieler mal lange nachdenkt, macht das nichts, denn im Fenster werden alle vier Partien gleichzeitig gezeigt.
Schließlich bietet Onlineschach dem Zuschauer noch einen weiteren Vorteil: man kann seinen Emotionen freien Lauf lassen, z.B. je nach Qualität der Züge jubeln oder vor Schmerz aufschreien. Im Fußballstadion sind solche Äußerungen willkommen, aber versucht das mal bei der Schach-Bundesliga.
2 1958 kaufte die Bundeswehr eine große Anzahl des US-Kampfflugzeugs Lockheed F-104 “Starfighter”. Die Maschine war anfangs als reiner Tag- und Abfangjäger konzipiert. Die Deutschen verlangten jedoch einen Allzweckjagdbomber, der sich auch mit Nuklearwaffen bestücken ließ. Diese Wünsche überforderten die unausgereifte, fragile Konstruktion; so neigte die deutsche Version F-104G zu technischen Aussetzern und verzieh nun keinen Irrtum mehr. Selbst bei kleinen Fehlern, die sich bei anderen Flugzeugtypen leicht korrigieren ließen, rauschte der F-104G in den nächsten Acker oder die Nordsee. Von 1960 bis 1991 hatte die Bundeswehr 916 Starfighter Typ G im Einsatz, davon stürzten 269 ab, 116 Piloten starben. Seitdem ist der Starfighter ein Standardbeispiel für Technik, die keinen Fehler verzeiht. (Quellen: teils dt. Wikipedia, Artikel “Starfighter-Affäre” und “Lockheed F-104”, teils die TV-Dokumentation Starfighter – mit Hightech in den Tod, ARTE/NDR 2010)
3 DSOL-Ausschreibung, sowohl dieses als auch die dazu gehörenden Folgezitate in diesem Punkt
4 zumindest in allen mir bekannten Fällen verhielt es sich so.
5 ChessBase DSOL-Handbuch S.8
6 www.schachklub-ettlingen.de, 30.07.2020: “SKE in der DSOL-Vorrunde: Verbindungsabbruch sorgt für das Aus”
7 in den unteren Ligen ist das Phänomen seltener bzw. weniger deutlich, weil dort die DWZ-Differenzen geringer sind.
8 natürlich gibt es auch hier statistische Ausnahmen. So erreichte unser 17jähriger GM Luis Engel (2551) gegen den über 3x älteren Stephan Buchal (2242, Werder Bremen) in einer packenden Partie mit Glück ein Remis.
9 ohne zurückgetretene Teams
10 Einwohnerzahlen aus der deutschen Wikipedia, Spielklassenangaben aus der Website des Vereins oder Verbandes